Zwei Tage Wanderung. Zwei Tage in denen seine Gedanken sich im Kreis drehten. Jendu wusste noch nicht, wohin er ging. Wieder nach Norden, ja. Für den Moment. Zurück nach Löwenstein? Nichts wäre ihm lieber gewesen. Doch dann wäre diese Reise umsonst gewesen.
Mit Kapitän Shivers hatte er kein Wort mehr gewechselt, bevor er sich im Dunkel der Nacht aus dem Staub gemacht hatte. Sie würde mit jedem weiteren Gespräch nur mehr unangenehme Fragen stellen, und diese wollte der Elonier vermeiden.
Der Priester Balthasars hatte ihm einen seltsamen Blick zugeworfen, nachdem die gewünschten Informationen eingebracht waren. Als wüsste er etwas, das Jendu selbst nicht wusste. Das Angebot des Riesen, weiter für ihn zu arbeiten und "Mut zu finden" hatte er ausgeschlagen, die Frage nach seinen weiteren Plänen mit einer kleinen Lüge umschifft. Und auch die Lüge schien der Priester gesehen zu haben.
Sand knirschte sacht unter den ausgelatschten Stiefelsohlen. Der dunkelhäutige Löwensteiner wanderte den Strand entlang, seinen Jutesack so geschultert, dass er die Federn seines Kragens nicht zerdrückte. Er ließ den Blick übers Meer zu seiner Linken gleiten, über die tropischen Wälder zu seiner Rechten. Er kannte die Gegend im Groben - diese Route war die sinnvollste gewesen. Landeinwärts gab es noch Reste der auferstandenen Horden, mit denen er definitiv keine Begegnung suchte, und allerhand wilde Tiere obendrein.
Wieder war es Jendu also gelungen, davon zu laufen. Er wusste, dass der Teufelskreis so weiter gehen würde, bis zu dem Punkt, an dem er allein dastand und sich nicht mehr retten konnte. Die freien Piratenhäfen in der Gegend konnte er nicht als Anlaufstelle nutzen. Das waren die ersten Orte, an denen Janita nach ihm suchen würde.
Wenn er jetzt zu Kay zurückging, war das Problem noch immer da. Er hatte Nichts erreicht. Für einen kurzen Moment zog er in Erwägung, bei der Löwengarde auspacken zu gehen. Dann immerhin wäre Sicherheit gewährleistet. Im Knast., führte er den Gedanken mit einem leichten Schnauben fort. Und das ganze Geld wären wir dann auch los.
Allem Missmut zum Trotz war das Wetter herrlich. Das Meer rauschte friedlich, die Sonne schien ihm warm in den Nacken. Lustlos trat Jendu einen kleinen Stein in Küstenrichtung hin fort. Der Kiesel plumpste ins Wasser einer auf der Sandbank ausrollenden Welle.
Was macht eine Ex-Ätherklinge mit einer anderen Ex-Ätherklinge, die auf Rache aus ist., schoss es ihm nicht zum ersten Mal an diesem Tag durch den Kopf. Die Lösung würde er nicht in seiner Heimat finden, wenn er ungeschoren davon kommen wollte. Nicht in Löwenstein.
Vielleicht hätte ich das Angebot dieses Priesters doch annehmen sollen. Nein, hätte er nicht. Er würde sein Leben nicht von der Doktrin eines Gottes zurechthämmern lassen, für den er kaum Verehrung in sich fand.
Er war kein Kriegsheld, keine Kämpfernatur. Balthasar war Nichts für ihn. Seufzend hielt Jendu inne und ließ sich mit Blick auf die blauen Weiten der Schwermütigen Tiefen auf den Hosenboden plumpsen. Die Füße taten ihm weh, und er hatte keine Lust mehr auf die elendige Latscherei.
Als er in den Jutesack langte, stellte er fest, dass kaum noch Proviant da war. Bald musste er sich auch dafür etwas einfallen lassen. Tastende Finger fanden die Gebets-Statuette, die ihm aus einem Götterfelser Schrein mitgebracht worden war. Er zog das hölzerne Kleinod hervor und betrachtete es, obwohl er genau wusste was er sehen würde. Kormir, ein Buch in der Rechten, wie sie sich auf die gebrochene Maske des besiegten Abaddon lehnte.
Wahrheit besiegt Lüge. Dafür, dass er wie seine Eltern vor ihm zu Kormir gebetet hatte, hatte er diesen Grundsatz erschreckend oft mit Füßen getreten. Das wurde ihm langsam klar. Er fragte sich, ob er je wirklich daran geglaubt hatte, oder ob die gelegentlichen Gebete nur noch Gewohnheit gewesen waren. Ebenso fragte er sich, ob er noch eine Chance hatte, auf den Pfad der Göttin zurück zu finden – oder ob es überhaupt der richtige für ihn war.
Sehen mit blinden Augen. Konnte er das überhaupt? Jendu streckte den Arm aus, um die Statuette in den Sand zu stellen. Er musste ein wenig hin und her ruckeln, bis sie vernünftig stehen blieb. Aber er fand keine spontane Erleuchtung. Kein brillanter Plan schoss ihm in den Kopf.
Er war nur ein Mensch, und er hörte keine göttlichen Eingebungen. Gut möglich, dass er es sich selbst eingebrockt hatte.
Kommentare 3