"Denkt daran, Driftmark. Keine Huren, kein Besäufnis, keine sonstigen scheußlichen Zerstreuungen. Fokus."
Er mochte das wiederaufgebaute Löwenstein keinen Deut besser leiden als das Löwenstein vor Scarlets Angriff. Gram und Ärger erfüllten ihn ob der Gelegenheit, die das letzte Königreich der Menschen verpasst hatte.
Es wäre die Chance dagewesen, zu übernehmen. Als die Stadt schwach war. Als der Kapitänsrat, dessen Führungsposition einst die Bedingung der Unabhängigkeit gewesen war, kraftlos und inkompetent dastand. Aber die Königin hatte es anders gewollt. Nun also ragten hier die Mauern und Kanonenstellungen eines neu ausgehobenen Freihafens auf. Ein Sieg für die chaotische Mischbevölkerung. Ein Schritt weiter weg von der Bestimmung dieses Landes. Dass pro forma, der Andacht halber wohl, ein paar krytanische Flaggen nahe des Portalplatzes wehten, machte die Sache kaum wirklich besser.
Metall knirschte dumpf über Kies, wo die schweren Panzerstiefel des prunkvoll gerüsteten Balthasarpriesters und der Stiel des Hammers über die Straße wummerten. In Götterfels war sein Auftreten eine riesenhafte Präsenz, die dem Auge kaum entgehen konnte. Hier ging er auf der Straße fast unter zwischen den vielen Norn, Charr und sogar manchem Kodan oder Oger, die zur Bevölkerung gehörten. Nicht dass er sich störte, in deren Gegenwart zu sein. Was ihn grimmen ließ, war die Bedeutung dieses Ortes.
Dronon schnaubte barsch, ließ den Kiefer mahlen, während er sich entlang des Weges umsah zwischen all den neuen Bauwerken hier. Weiße Mauern und belebte Gassen vermochten fast schon den Schein einer krytanischen Metropole vorzutäuschen, doch die bunten Kitschbauten in Form von Quallen, Muscheln und sonstigem Seegetier befreiten den Geist früh von solchen Gedanken.
Die Lakaien des Konsortiums hatten diese neue Architektur ermöglicht, und der Kleriker spuckte beim Gedanken an jene gierigen Aasgeier nach rechts aufs Straßenpflaster aus. Sie hatten nicht einmal vor den alten Ruinen Halt gemacht. Archäologisch erhaltene Kultur, Mahnmäler daran, dass dieses Land einst Kryta gehörte – vernichtet, einfach ersetzt mit frisch verputzten Villen und Handelshäusern. Auch die alten Trainingsanlagen des Zaishen-Ordens waren nicht wiederaufgebaut worden, im Gegenteil.
Wahrlich, es gab kaum Positives, das er dieser vom Piratenloch zum Touristenpfuhl mutierten Stadt abgewinnen konnte. Immerhin hatten die Leute hier mehr über den Wert robuster Verteidigungsanlagen gelernt – was aber die zusammen gewürfelten Leute, die sie bedienten, noch nicht tauglicher werden ließ.
"Was denkt Ihr nur von mir, Priester? Natürlich." Richard von Driftmarks Antwort riss ihn aus den finsteren Gedanken. Der kurzickblütige Zaishen schritt leichten Schrittes neben ihm her, mit einem schwarzen Chaperon auf dem Haupt, um seine bleiche Haut etwas vor der Sonne zu beschirmen, und dem Strick des Packtieres fest im Griff. Leicht kess war der rechte Mundwinkel des Mannes zusammen mit seiner geschwungenen Braue angehoben, aber sein straffer Gang drückte Disziplin aus.
"Spart Euch das. Ich kenne Euch." Dronon machte sich nicht die Mühe, seine Worte zu beschönigen, und die Botschaft kam an.
"Jedenfalls, glaube ich, sind wir sind gleich da."
"Das habt Ihr schonmal gesagt, kurz bevor wir vor der falschen Adresse standen. Einem Bordell."
Driftmark ließ sich von dem scharf verurteilenden Tonfall des Priesters zwar nicht in Verlegenheit bringen, aber es war spürbar, dass der Mann es nicht auf einen Witz anzulegen wagte. "Zugegeben, es hat sich alles verändert. Aber Fehltritte sind Lektionen, nicht?"
"Und wir wollen die Schlacht nicht vor dem Siege loben."
"Sicherlich. Bin gespannt auf die Verhandlungen morgen."
"Verhandlungen.", grollte Dronon mit zusammen ruckenden Brauen. Das Wort kam ihm widerwillig über die Lippen. "Der Fund wird keinem dekadenten Sammler gehören, sondern der Kirche Balthasars."
"Bei allem gebotenen Respekt, ehrwürdiger Priester, das solltet Ihr dem Hylek so nicht ins Gesicht sagen." Das steile Heben der Braue drückte die zurückhaltende Warnung des Zaishen aus, während er zu dem Kleriker des Kriegsgottes hinüber sah.
Der Kriegshetzer antwortete mit einem starren, stechenden Seitenblick, und sein Begleiter verstummte. Das drohende Brodeln in seinen Augen verbarg der bullige Riese schlicht nicht, denn der überflüssige Ratschlag Driftmarks war ihm lästig. Dass er den Sammler nicht würde bedrohen können, wenn er sich Erfolgschancen ausrechnete, wusste er selbst – doch der Gedanke, sich dort anbiedern zu müssen, trieb ihm das Zornesblut an die Schläfen.
Er presste den Kiefer entschieden aufeinander, während sie langsam aus dem dicht bebauten Terrain kamen, weiter gen Osten, wo noch mehr von dem wilderen Löwenstein geblieben war, das Dronon damals als Novize kennen gelernt hatte.
"Das da hinten, das müsste die Herberge sein." Der fahlhäutige Kämpfer an seiner Seite hob die Linke vom Knauf seiner canthanischen Klinge und deutete voraus gen eines strohgedeckten Altbaus samt angeschlossener Stallungen. Er zog am Strick, um den Packochsen weiter zu dirigieren. Das Tier schnaufte stupide, leistete aber Folge. Dieses Mal war Gustaf in Götterfels geblieben; Das dichte Fell des Dolyaks war nicht geschaffen für das Klima, in das es sie voraussichtlich verschlagen würde – das hatte spätestens der Marsch zur Silberwüste gezeigt.
"Gut.", kam die basslastige Antwort. "Dann sehen wir zu, dass wir die Übernachtung begleichen und die komplette Ladung auf die Kammer schaffen."
"Die komplette Ladung, Priester?" Wieder schoss die schlanke rechte Braue des Canthaners in die Höhe.
"Ihr habt mich gehört."
"Ich.." Driftmark kam nicht wirklich zum Sprechen.
"Eure Aufgabe ist es, die Rüstung vor den falschen Händen zu beschirmen.", sprach der Priester Balthasars ernst, aber weniger schroff als zuvor, immerhin hatte der Mann sich freiwillig gemeldet. "Ihre Kräfte werden uns noch von Nutzen sein. Ich habe es im Gespür. Balthasar zieht seine Heerscharen durch uns."
Mit knirschenden Kieseln unter den Plattensohlen hammer-krückte Dronon voran.