Auf flammendem Vormarsch - Kapitel VII.: Schwermütige Tiefen (2)

Jendu fühlte Schweißperlen an seiner Stirn herab rinnen, während er sich mit beiden Händen an die Unterseite des großen, kunstvoll geschnitzten Holzalbatros klammerte. Er vermochte nicht mehr zu unterscheiden zwischen Angstschweiß und jenem, der seiner Anstrengung entsprang. Die Galionsfigur des Schiffes war recht klein, und er konnte hören, wie das Holz unter der nicht vorgesehenen Belastung leise ächzte und knarrte.
Niemand hatte es gesehen. Niemand konnte es gesehen haben. Wenn es Jemand gesehen hatte, warum hatten sie ihn noch nicht geholt? Er biss die Zähne fester um den Griff des Szepters und betete zu den Sechsen, dass der Zauber allen Augen entgangen war.


Die kräftigen Schritte der Piratenstiefel taperten über Deck, während immer wieder knappe Schläge und raue Anweisungen ertönten. "Runter auf die Knie.. ja, du auch, Blattsalat.", knurrte ein Organ mit so animalischem Anklang, wie er nur von einem Charr stammen konnte. "Hände hinter die Köpfe. Keine Mätzchen."


Auch Janitas Stimme war noch da. Entfernter allerdings, und Jendu musste einen gefährlichen Gutteil seiner Konzentration von der Klammerei abziehen, um darauf lauschen zu können. "Meine Männer stellen den ganzen Kahn auf den Kopf, wenn's sein muss. Wir haben ihn vorhin noch an Deck gesehen. Sicher hat er einen seiner Tricks angewandt."


"Was für Tricks denn bitteschön?" Das war Kapitän Shivers' Stimme. Die betagte Seefahrerin klang angespannt, aber furchtlos.


"Der bunte Pfau ist ein Mesmer. Und wenn Ihr ihm helft, uns zu entgehen, wird Eure Crew dafür bezahlen, Käpt'n."


"Auch irgendwelche Mesmer kennen mein Schiff nicht besser als ich selbst. Wenn er nicht über Bord gegangen ist, müssen Eure Leute ihn doch wohl aufgreifen können."


Ein dumpfes Geräusch erklang, gefolgt von einem Keuchen und rumpelnden Beilauten eines fallenden Körpers. Die Leidtragende war eindeutig nicht Janita. "Dann solltet Ihr uns vielleicht besser instruieren – WIESO DAUERT DAS DA DRIN SO LANGE, IHR NICHTSNUTZE!" Das Geschrei in befehlsgewohnter Intonierung musste den Seeräubern unter Deck gelten.


Er kniff die Augen zusammen, während die Fingernägel sich in die spärlichen Fugen gruben, an denen er Halt fand. Das Blut staute sich schmerzlich, und er spürte, wie er unter schwitzigen Händen langsam aber sicher an Griffigkeit verlor.
Die Galionsfigur begann, überstrapaziert zu knacken – und er hörte, wie Stiefel ins Bugkastell hinauf stapften. Verdammt, sie durften ihn nicht finden. Um keinen Preis. Er musste entkommen, wie er immer entkommen war. Weitere Schweißperlen troffen ihm von der Nase, als er den Blick nach rechts zu der nächstbesten Kanonenluke entlang des Schiffsrumpfes wandte. Konzentration, Jendu, Konzentration.. die Schritte erklangen oberhalb auf den Planken.


Es war dieser Moment, da er die rechte Hand fortnahm und das Szepter packte. Als ein pockennarbiges Gesicht über die Reling lugte, ließ der Elonier sich einfach den Tiefen des Meeres entgegen fallen.
"Ich hab' ih–", war das Einzige was Jendu noch vom Gejohle des Findigen hörte. Der Pistolenschuss, der hinter ihm erklang, pfiff nur noch durch violett schillernde Astralscherben und Salzwasser.


Keuchend wälzte sein schlanker Körper sich durch die Stückpforte an der Kanone vorbei, die violetten Schlieren magischer Energie noch hinter sich herziehend. Er kam in einer halben Rolle wieder auf die Beine.


"Da ist der Penner! Schnapp' ihn dir, Drahtec!"


Vom Regen in die Traufe. Der Dunkelhäutige hob den Blick, während gelöste schwarze Federn um ihn herum niedersegelten – nur um einen aufröhrenden Charr mit mächtigen, gebogenen Hörnern und entblößten Reißzähnen auf sich zustürzen zu sehen. Jendu grinste breit, reckte das klingenbewehrte Krait-Szepter voran und warf sich dem übermächtigen Feind heroisch entgegen.


Zwei Kanonen weiter richtete der echte Jendu sich halb geduckt auf und eilte davon. Ein Fingerschnipsen, und das Schmerzensgebrüll des Charrpiraten erfüllte das Schiff, als die spektrale Detonation des Klones ihn vollumfänglich erfasste. Der Mesmer blickte sich nicht um. Immer weiter und weiter, solange sie nur abgelenkt waren.
Er wetzte an den wenigen veralteten Kanonen der Karacke vorbei, riss Türen auf während er sich einen Weg bahnte, leere Hängematten beiseite fegend, ohne auf irgendetwas Rücksicht zu nehmen als sein eigenes Leben. Er war gefangen an Bord, er wusste es, aber er konnte nicht anders als zu laufen und seinem Schicksal so lange zu entgehen wie irgend möglich.


In seinem wilden Fluchttrieb wäre ihm beinahe die Leiter entgangen. Schlitternd kam er zum Stillstand, sah über die Schulter, fand sich ohne direkten Verfolger wieder. Es gab Nichts zu warten. Sprosse um Sprosse stieg Jendu hinauf, eilends kletternd, um jede Sekunde zu nutzen, die noch ihm gehörte. Nach oben hin war der Aufstieg unversperrt aber überdacht – da er direkt unter Deck gewesen war, konnte er also nur das Achterkastell erreicht haben.


Ein sinnloses Hoffnungsgrinsen zuckte ihm durchs tätowierte Gesicht, als er sich eine Etage höher aufraffte und den Gang in Blickrichtung leer vorfand.
Sein Herz aber stand still, als er sich umwandte und eine rasiermesserscharfe Klinge direkt an seiner Kehle spürte. Sie war in Blut getränkt.


"Ssshh..", machte die bleiche Gestalt mit dem zurückgegelten schwarzen Haar, die das Katana mit beiden Händen umfasst hielt, in gefährlicher, beschwörender Ruhe. Es war der Lakai des Priesters, der mit dem Abzeichen des Zaishen-Ordens an der Brust. Jendu tat wie geheißen, ohne darüber nachzudenken.
Als der fahlhäutige Canthaner sich vergewissert zu haben schien, dass der Elonier ihn nicht auffliegen ließ, beugte er sich ein Stück zurück, ohne die Schwertklinge von der Kehle des Aufgegriffenen zu nehmen. Der Mann nickte um die nächste Biegung des Ganges Jemandem zu.


Das war der Zeitpunkt, zu dem das Wummern enormer Stiefel auf den Planken begann. Jendu hatte nicht gewusst, dass sie noch einen Norn an Bord hatten – bis ihm klar wurde, dass es keiner war.
Das gewaltige Wesen, das um die Ecke bog, schien von Kopf bis Fuß aus rußigen, dunkelgrauen Stahlplatten zu bestehen, die zu schwer und dick aussahen, als dass irgendein Mensch sie aus eigener Kraft als taugliche Rüstung hätte tragen können. Feine Gravuren zierten den Stahl, Schulterplatten und Panzerhandschuhe waren in Form mächtiger Hundemäuler geschmiedet, und ein weiter, königlich roter Umhang umrahmte die Gestalt. Den Helm zierte das Motiv einer schreienden Fratze auf der breiten Mittelspange, hinten an den Seiten hingegen rankten sich zahlreiche, außerirdisch wirkende Hörner wie ein Kranz ums Haupt und lange stählerne Tentakel fielen anstatt von Haaren über den gepanzerten Rücken.
Eine aggressive Hitzeaura lag erdrückend auf dem Gang, während Jendu von dem Zaishen an die Wand beiseite gedrängt wurde. Das Konstrukt, was immer es war, konnte nur magischen Ursprungs sein, denn aus allen Ritzen und Fugen zwischen den Stahlplatten waberte orangene Feuersglut. Unter dem Helm gab es nur tiefe Schwärze und zwei brennende Flecken anstelle von Augen.
In dem Moment, da diese Flecken Jendu eines kurzen Blickes würdigten, konnte er darin Nichts spüren als urweltlichen Zerstörungswillen.


Erst als die Horrorgestalt ihn mit krachenden Stapfern passiert hatte und der Canthaner ihn einfach losließ, um hintendrein zu eilen, wurde sich Jendu gewahr, dass das Wesen den Streithammer des Balthasarpriesters trug. Was war mit dem Priester geschehen? Hatte er sich seinem Gott geopfert, um irgendeine Art bizarren Avatar zu beschwören? Hatte er dieses Monster die ganze Zeit an Bord versteckt?
Mit noch immer aufgerissenen Augen ließ der Mesmer sich rücklings an der Wand herab sinken und beschloss, genau da zu bleiben, wo er war. Das wie und warum dieser Erscheinung sollte ihm völlig gleich sein. Er hatte mehr Zeit gewonnen. Nur rennen wollten seine Beine nicht länger.


Ein Stück weiter links hörte er die Tür nach draußen aufbersten. Die wummernden Schritte der Gestalt aus Stahl und Feuer waren an Deck.
Es folgte dröhnendes Gebrüll, das sich um irgendetwas vom Zorn Balthasars und seiner strafenden Hand drehte. Jendu hörte nicht hin, zog das Kinn auf die Brust und schlug die Arme klammernd über dem Kopf zusammen.


Rufe aller Art schallten aus verschiedensten Kehlen über die 'Kreischender Albatros' hinweg – warnende zunächst, dann panische, angriffslustige und befehlende quer durcheinander. Stahl klirrte, Holz krachte, und das Rufen wurde zu Kampf- und Schmerzensschreien.
Das entsetzliche, feucht knirschende Geräusch von berstenden Knochen mischte sich mit dem von reißendem Fleisch, während Pistolen donnerten und Schwerter aufeinander prallten.


Dann, irgendwann – Stille.


"Wer weder zögert noch zurückweicht, wird belohnt werden."


[color=#000000]- Schriften des Balthasar, 48 V.E.

Kommentare 4

  • Okayokay *duck* Keine Cliffhanger mehr... zumindest im nächsten Kapitel!

  • Lass das mit den Cliffhanger, das ist eine schlimme Unart.^^

  • Hab es dir ja schon gesagt.
    Super. Wirklich super. Ich mag Jendu total... *g*
    Und... hör mit den Cliffhangern auf! Hör auf... einfach nein... NEIN! X(


    ò.ó



    weiter so *hinterherflüstert*

  • Und wieder: An der besten Stelle hört es auf und ich muss wieder warten. Ich hasse warten. Warten ist scheiße. Schreib weiter.