Ritual des Seelengefängnisses
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Kälte hing im Raum. Es war nicht die Kälte, welche einem in der Nacht durch Fensterspalten in die Wohnung kroch, oder aber die des Winters oder gar eines Gewässers. Es war die Kälte eines Steingewölbes, welche an den nassen Wänden hing und geeignet war, um Weinfässer über die Jahre zu lagern und ihren Inhalt die Ruhe zu geben, die dieser benötigte.
Von Ruhe allerdings fehlte jede Spur. Es war dunkel. Schnaufende, hektische Atmung war zu hören, immer wieder leises Knarzen zu hören, ebenso unterdrückte Rufe. Die Stimmen gingen durcheinander, über Stunden hinweg, bis nur noch heiseres Krächzen erklang, welches ebenso mit der dahin streichenden Zeit ermattete, ehe es in ein Wimmern überging. Als sich dann plötzlich in der Ferne eine Tür öffnete wurde es still.
Die leisen Schritte gingen durch den Raum, nur um in der Mitte dieses anzuhalten. Langsam raschelte Stoff, bevor ein Kerzendocht entzündet wurde, dessen kleine Flamme tanzende Schatten an die hohen Wände warf. Drei Personen saßen dort geknebelt und nackt an metallene Stühle gebunden, unfähig sich zu bewegen, ein dicker Stoff zwischen ihre Kiefer gezwängt, wodurch dieser immer offen blieb. Das Metall war so ausgerichtet, dass sie in einem kleinen Stuhlkreis saßen, der auf die Mitte ausgerichtet war. Ein Mann saß dort, genau im Zentrum. Beschriftete Bandagen verhüllten sein Gesicht vollkommen, schlängelten sich über die Arme herunter, bis zu den Fingern, von welchen sowohl Zeige- als auch Ringfinger frei geblieben waren. Auch sein Unterleib und seine Beine waren mit Stoff verhüllt, während der sehnige Oberkörper frei lag, um die ebenso aufgemalten Schriftzüge und verschnörkelten Linien freizulegen, während die Füße ebenso unverdeckt waren. Am Gürtelbund saßen ein Ritualdolch mit schmaler Klinge und auch ein zusammen gerolltes Pergamentbündel. Nach und nach zündete er noch zwei weitere Kerzen an, welche er dann mit der erste in kleine Einlassungen des Bodens setzte, wodurch sie die dortigen Gravuren erhellten, die sich bis unter die Stühle der Gefesselten zogen. Doch nicht nur die Kluften in den Steinen wurden nun sichtbar, sondern auch die Kreise und Linien, die in das dunkle Gestein eingebrannt waren und ein riesiges Geflecht darstellten. Verdorbene Schriften waren es, die mit ihrer bloßen Anwesenheit Unheil versprachen. Dann erhob sich der Mann langsam und wandte sich nacheinander den Geknebelten zu. Einmal war es ein zweiter Mann von gestähltem Körperbau, dessen Gesichtszüge kantig anmuteten, während sein Leib von Narben versehen war. Ein Soldat offenbar, der ihm feindselig aus blauen Augen entgegen starrte, während sein braunes Haar schweißnass auf seiner Stirn klebte. Der Mann drehte sich ein Stück. Eine Frau war ihm nun gegenüber, die erfolglos versuchte ihre Schenkel zusammen zu zwängen, um ihre Scham zu verdecken. Als man sich ihr zuwandte, schloss sie ihre grünen Augen und wendete das Gesicht ab, während ihr schlanker Leib vor Kälte unstet zitterte. Auch sie trug braunes Haar, genauso wie jene dritte Person, zu welcher sich der Vermummte zuletzt umwandte. Es war ein kleiner Knabe, welcher ihm aus tränenden Augen entgegen sah und sich schon vor langer Zeit vor Angst selbst benässte, doch war der Anblick des Fremden offenbar Grund genug, um den Harndrang noch einmal einen Antrieb zu geben.
Schweigend blieb der Mann so einige Momente stehen, während die kleinen Flammen leise knisterten, bevor er den Dolch mit schmaler Klinge unter dem Gürtelbund hervor nahm und auf den Mann zuging, vor welchem er sich langsam hinhockte und die Schneide hinter seine Beine führte. Er spürte den schnaufenden, heißen Atem auf seiner Brust, während sich der gesamte Leib des Gefangenen spannte. Hätte dieser die Möglichkeit gehabt, so hätte er ihn sicherlich angefallen, doch war ihm sämtliche Möglichkeit genommen worden. So konnte der Vermummte die Klinge ungehindert tief durch die Kniekehlen ziehen, woraufhin das Blut in rauen Mengen hervor kam und ihm die Waden entlang in die Steinkluften unter den Stuhl rann. Schmerzverzerrt erklang der gedämpfte Auflaut des Mannes, was den Vermummten nicht davon abhielt sich danach der Frau und schließlich auch dem Kind zuzuwenden, welchen er beiden die selben Wunden zufügte, bevor er sich wieder in die Mitte begab und sich dort niedersetzte. Der Dolch wurde in den Stoff zurück gebettet, nun die Pergamentrolle abgenommen, die er aufdrehte und drei vorgeschrieben Pergamente entfaltete, welche er auf die Gravuren setzte die in die Richtung der Gefangenen zeigten, welche mit den verstreichenden Momenten immer unruhiger und panischer wurden, ganz zum Gegenteil des verhüllten Mannes.
Dieser begann plötzlich in einen tranceartigen Zustand überzugehen, wodurch sein Oberkörper sich langsam wog, als würde er sich gegen schwere Wellen oder aber starke Windböen aufbäumen. Die Muskeln spannten und entspannten sich unstet, willkürlich fast, als würde er unter plötzlichen Anfällen leiden, die ihm diese Krämpfe erst aufzwangen. Nun war er es, der unruhig zu schnaufen begann. Die Finger krümmten und streckten sich, die Wirbelsäule wurde mit unwirschen Bewegungen malträtiert und verdreht, wodurch die Knorpel laut knarzten. Das Blut der Gefangenen floss langsam die Linien im Boden entlang, bis es unter die Pergamente kam. Die darauf befindlichen Schriftzüge begannen sich zu verdunkeln, als würden sie sich mit der roten Flüssigkeit vollsaugen. Als nach einigen Momenten dann der letzte Kreis auf den Papieren vollends verschlossen war, begannen sich auch die Kreise um den in der Mitte sitzenden Mannes zu schließen, die in einem garstigen, hellen Grün aufleuchteten. Sein Leib bäumte sich auf, nur um weit nach hinten geneigt zu verharren, die Arme seitlich von sich gestreckt und der Kopf tief im Nacken, als hätten unsichtbare Ketten ihn plötzlich gepackt und gen Boden gerissen, bevor sie ihn in jener schmerzhaften Position hielten.
Die Gefangenen wurden immer panischer, doch auch schwächer, während ihr Blut floss und das gewaltige Ritual anfütterte. Nachdem die ersten Kreise um den Mann sich geschlossen hatten und in einem grellen Grün leuchteten, begannen sie auch auf den anderen Linien umher zu wandern, die ebenso hell aufflammten und den Raum in seiner Gesamtheit entblößten. Ketten hingen an Wänden und Decke, die die Knochen Verstorbener gepackt hielten und sogar von der Decke hingen ließen. Längst verweste und bis auf die Knochen verzehrte Leiber waren es, zum Großteil nur noch mit dem Brustkorb und den Armen vorhanden, als hätte die Zeit dafür Sorge getragen, dass irgendwann der Schädel und auch das Becken mit den Beinen abfiel. Die Opfer dieses Rituals starrten in blankem Entsetzen hinauf und schienen nun zu realisieren, in welche Grausamkeit sie hinein gezogen wurden. Der Mann und auch die Frau sahen dann zu dem jungen Knaben, der schrill in den dämpfenden Stoff hinein schrie und sich wie wild zu winden begann. Sogleich starrten sie den Vermummten an und begannen sich ebenso aufzubegehren, sowohl mit Körperwindungen gegen die festen Seile, die sie an den Stühlen hielten und sich immer tiefer ins wund gescheuerte Fleisch fraßen, als auch mit gedämpften Rufen. Ein erfolgloser Versuch auf sich aufmerksam zu machen, als wollten sie zumindest das Kind freikaufen. Der verhüllte Mann verblieb in seiner Trance, während seine Atmung allmählich in die Hyperventilation überging. Als das Blut dann unter den Pergamenten hervor kroch und bei ihm ankam, stockte alles an ihm, als sich nun auch die Schriftzüge und Gravuren auf seinem Leib in ein widerliches Grün übersetzten. Dann begann es plötzlich.
Schlagartig waren die knebelnden Stoffe nutzlos, als die Opfer unter Panik mitmal aus vollster Lunge anfingen zu schreien. Das Blut, welches sich gesammelt hatte, begann vom Vermummten ausgehend zu gerinnen und zu verrotten. Es zog sich schnell in ihre Richtungen weiter, bis ihre Füße und ihre Unterschenkel anfingen zu verwesen. Unter der Haut fanden Bewegungen statt, bevor Maden und Würmer sich ihre Löcher nach außen fraßen und das versiechte Fleisch mit süßlichem Gestank aus dem aufplatzenden Gewebe heraus geschwemmt wurde. Die Knochen fielen porös ab, während sich die Verwesung langsam den Körper hinauf begab und die schreienden Gefangenen bei vollem Bewusstsein zerfallen ließ. Die Schriftzüge auf dem Gestein erhellten sich immer mehr und immer weiter, bis sie den gesamten, gewaltigen Raum durchflutet hatten und die Überreste Dutzender weiterer Gefangener entblößten. Der Vermummte richtete seinen Oberkörper plötzlich wieder auf, umgriff sich selbst und begann sich unter keuchenden Geräuschen der Anstrengung zu krümmen, während sein Leib stark erzitterte. Wieder waren es Bewegungen unter der Haut der immer schwächer werdenden Gefangenen, während das Kind schon in die rettende Ohnmacht vor dieser Pein überging. Ein schwacher Trost, doch bekam der Knabe somit nicht mit, wie aus seinen sämtlichen Körperöffnungen plötzlich Schaben und Heuschrecken traten, welche diese mit ihren dicken Leibern verstopften, während die Maden und Würmer sich an seinem verrottendem Fleisch satt fraßen. Auch Frau und Mann erlagen diesen Torturen zuckend unter Erstickungsanfällen, die sie gewaltsam in die Bewusstlosigkeit trieben, während ihre Rufe immer leiser und schwächer wurden, das Surren und Brummen der Insekten dafür nur lauter und intensiver.
Momente zogen sich so dahin, während der Schwarm an Insekten selbst dieser gewaltigen Verwesung erlag und sie reglos zu Boden fielen, um entweder im verwesten Fleisch und dem Blut zu ertrinken, oder sich letzten Zuckungen hinzugeben, bis nur noch der sich krümmende Vermummte dort war, der sich die Finger tief in die Oberarme trieb, bis sich unter den reißenden Nägeln blutige Kluften bildeten. Als dann eine vermeintliche Ruhe auftrat, begannen die hell leuchtenden Gravuren im Gewölbe laut zu brummen, während sich ein Dunst von den Opfern abhob und doch wieder verschwand. Seelen. Seelen waren es, die sich verflüchtigen wollten und von den gewaltigen Bann- und Ritualkreisen davon abgehalten wurden. Es wurde ihnen nicht erlaubt. Stattdessen wurden sie mit Gewalt unter reißenden Geräuschen in die zuvor ausgelegten Pergamente gerissen, die sie in den gezeichneten Schriftzügen bannten, welche daraufhin von mehreren Kreisen umrahmt waren, ebenso von zackigen Strichen, als hätten diese die Kreise erst auf dem fasrigen Papier festgehalten. So wie die Seelen gebannt und festgesetzt wurden, brachen die sämtlichen Schriftzüge auf dem Boden, die schlagartig erloschen und einen Impuls ob dieser Gewalt durch den Raum stießen, welche die Körper der Insekten über den Boden fegten und die Kerzenflammen auspusteten, während vom Vermummten ein erlöstes Aufatmen erklang.
Wieder war es still und wieder war es dunkel.