Klassenbildung
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Schweigend stand Kassis im Gang des riesigen Tunnelsystems. In einem von sehr vielen Gängen. Unruhig drückte er sich immer wieder auf den Fußballen vor, verlagerte das Gewicht über die gesamte Sohle danach hinter zur Ferse und rollte doch wieder nach vorne zum Ballen auf. Minuten stand er so schon herum, wippte sich selbst auf und ab, der Kopf leicht schief geneigt und unschlüssig, ob er nun durch die angelehnte Tür gehen sollte, oder aber nicht. Sie war aus einem dunklen, feucht angelaufenen Holz und stank regelrecht nach Moos. „Hmpf.. Mach schon.. Beweg' dich..“, nuschelte er vor sich hin und atmete tief auf, bevor er dann doch die restlichen Meter zur Pforte aufzuschließen. Langsam schob er das Gehölz auf, schob sich hindurch und hob den Kopf an, um den verdeckten Blick auf Dogrem zu richten, der kopfüber vor ihm hing und dem die Haare nass an der Stirn klebten. Eine metallene Stange war es, an welche er seine Beine gehakt hatte, um nicht zu stürzen. Außer seinen Stiefeln und der festen Hose war er ansonsten unbekleidet, seine Unterarme und auch Brust samt Bauch von Haaren bedeckt, während dem Vermummten der Schweiß regelrecht ins verhüllte Gesicht schlug. Mit einem Brummen ging der Barfüßige etwas zurück. „Ihr übt.. wie schön..“, nuschelte dieser, drehte den Kopf dann, um sich so umzusehen. Im Gegensatz der vielen Räume war dieser keineswegs karg. An den Wänden hingen an Haken befestigt verschiedenste Klingen, ebenso Garotten und auch diverse Greifhaken. Es hatte etwas von einer kleinen Waffenkammer. Zwei kleine, jedoch breite Kommoden waren in einer Ecke zu sehen, ebenso statt einem Bett einfach ein Berg aus Kissen und Decken. Gegenüber jener Ecke befand sich die Tür und davor zahlreiche Stangen, die kreuz und quer von Wand zu Wand gingen, auch schräg versetzt aus dem Boden und der Decke ragten. Drei weitere Türen führten wohl zu Nebenräumen. Eine jene hölzernen Abgrenzungen öffnete sich leise knarrend, ehe jener Jüngling vorsichtig hervor lugte, den Dogrem einst Jacob nannte. Unsicher zog der Bursche die Brauen zusammen. Kassis neigte den Kopf schief, während der vermeintliche Hausherr ebenso zu ihm rüber sah, als sich die Tür aufschob. „Bring uns was zu trinken.“ Jacob nickte mehrmals rasch, wandte sich dann ab und ging wieder in den Nebenraum zurück. Kassis wandte sich Dogrem zu. „Zu trinken? Alkohol?“ Ein Seufzen schlug dem Vermummten entgegen, der sich einfach an Ort und Stelle hinsetzte, während sich der Mann an der Stange wieder gen der geschlossenen Tür drehte. „Für ihn ein Wasser.“ „Wie Ihr wünscht, Meister!“, rief Jacob durch das Holz durch. Dogrem grummelte dann nur und setzte seine Übungen fort, indem er den Oberkörper aufrichtete, während er dort hin, sich wieder lang streckte und den Rumpf nur erneut krümmte. Wieder und immer wieder.
„Ich müsste meine Leute nur noch zusammen scharren, dann könnten wir schon los..“, murmelte der Vermummte, der das Glas mit Wasser neben sich abstellte, welches ihm Jacob reichte, nachdem er fünf Minuten später erneut aus dem Nebenraum trat. Er hob die rechte Hand an, um die Leinen wieder ein Stück zu verrücken, damit er den Mund freilegen konnte. Dogrem ließ sich für seinen Teil von der Stange runter, um den gefüllten Krug entgegen nehmen zu können. Der Inhalt sprach zwar davon, dass er sich in einem kleinen Schnapsglas wohler fühlen würde, aber das war offenbar egal. Es wurde einfach gierig und großzügig aus dem Behältnis getrunken, welches man sicherlich auch als Schlagwaffe hätte benutzen können. „Wie kann man nur so viel Alkohol trinken? Das benebelt die Sinne..“, murmelte Kassis vor sich hin, ehe er sein Glas ergriff und selbst erst einmal trank. Als er es absetzte sah er Dogrem vor sich, welcher in dem kurzen Moment seine Position geändert hatte und nun direkt vor ihm hockte, der Blick auf den verdeckten seines Gegenübers gerichtet. Der Vermummte neigte den Kopf auf die linke Seite schief. „Du.. bist schnell.“ „Und betrunken.“, schnarrte man Kassis entgegen, der daraufhin nur leise kicherte. „Schnell und betrunken, ja.. Aber nicht schneller, als ich.“ Dogrem verengte die Augen ein Stück auf diese offene Provokation hin. „War das eine Herausforderung?“, zischte er ihm zu, woraufhin Kassis nur wieder lachte, ehe er ihm ein Heben der Schultern entgegnete. „Vielleicht.. Oder willst du mir sagen, dass du mir noch entkommen kannst, hm?“ Langsam neigten sie beide den Kopf schief, nur um gleichzeitig auf den Boden zu sehen. Tatsächlich lag dort ein fast vollendeter Kreis um Dogrem, der ob des Anblicks ein leises Grummeln von sich hören ließ. Sein Blick hob sich fest auf das verhüllte Gesicht des Kultisten. „Ja.“, brummte er ihm entgegen. Dann herrschte plötzlich eine Stille vor, von welcher mein hätte behaupten können, dass sie noch über Stunden hinweg angehalten hätte, doch dann schnappte der Kreis wie eine Bärenfalle zusammen und glimmte gleißend grün auf, als er sich auch noch in das Gestein einbrannte. Doch Dogrem war nicht mehr dort. Er hockte direkt hinter Kassis und ließ es sich nicht nehmen sich einfach mit dem Rücken an dessen anzulehnen, wieder vom Krug trinkend, den er leer neben sich abstellte und einmal tief aufstieß, das durch den Raum hallte. „Zu schnell.. und zu betrunken. Vielleicht das nächste Mal.“ Mit einem Schnauben richtete er sich auf, während Kassis sich mit einem Grummeln an seinem Wasserglas vergriff. Derweil ging Dogrem zu den Kommoden rüber und zog lederne Kluft hervor, mit welcher er sich einfach bekleidete und den schweißnassen Körper darunter verbarg. „Aber gut.. Ruf deine Leute zusammen. Eine Ausbildung auf offenem Feld erwartet sie schließlich.“
„Herr?“ Kassis blieb stehen und wandte sich langsam zur Frau um, die Jacob am Vortag dazu bringen wollte ihn mit einem Besenstiel anzustoßen. „Hm.. Was wollt Ihr?“ Die untypisch in festes Leder gehüllte Person, welche so ganz und gar nicht zu dem Archetypus eines Kultisten passen wollte, verwies den Gang zurück. „Die knüpfen sich bald auf..“ Der Vermummte seufzte gedehnt aus. „Warum eigentlich immer ich..“ Nach einem kurzen, aber sehr schnellen Fußmarsch kamen die beiden schließlich in jenem Raum an, in welchem auch die Menschentraube sich bildete und getrennt werden musste. Erneut gab es eine größere Ansammlung in welcher sich nun berobte Personen denen gegenüber sahen, welche in festes Leder gekleidet waren, Geschlechter und Alter komplett durcheinander, jedoch allesamt komplett menschlich. Zwar waren sie alle größtenteils bewaffnet, aber gezogen war keine einzige von ihnen. Dennoch war die Luft zum schneiden dick und die Situation dementsprechend sehr gespannt. „Auseinander, bevor es noch eskaliert..“, grummelte Kassis, welcher das Zentrum der gesamten Aufmerksamkeit wurde, was seine Schultern ein Stück sinken ließ. „Ihr wisst schon alle, dass wir.. alle dem selben Ziel nachjagen, oder?“ „DIE?“, japste ein Bursche von berobter Person auf, welcher sich dem Vermummten zuwandte. „Das sind Straßendiebe und Auftragsmörder!“ Kassis schnarrte auf die Worte hin. „Falsch.. Es sind UNSERE Straßendiebe und Auftragsmörder..“ „Wir sind also schon Straßendiebe?“, murrte Dogrem, welcher aus einem Nebengang eintrat und sich zu jenen stellte, die seiner Kluft entsprachen. Sofort wurde in jenen Reihen eine stramme Haltung angenommen. Disziplin war ihnen offenbar nicht unbekannt. Abwartend sah er dann zum Vermummten und hob seine rechte Braue an, während Kassis seine Arme vor der nackten Brust verschränkte und brummte. „Vielleicht.. habe ich mich falsch ausgedrückt..“ Er neigte den Kopf langsam zur Seite, um den verdeckten Blick auf die Berobten zu richten. „Sie alle.. sind uns komplett gleichgestellt.. Dogrem ist der Meister der Auftragsmörder, Attentäter, oder.. wie ihr sie auch immer bezeichnen wollt. Sie sind nicht weniger Dhuum treu, wie wir alle. Sie arbeiten einfach nur anders, als wir.. Also seid froh, dass sie hier Abwechslung reinbringen.“ Mit einer abgehackten Bewegung löste er die Arme aus der Verschränkung und scheuchte in die Berobten rein, die sich in ihrer Masse zumindest ein Stück auflösten, auch, wenn sie sich nicht verkneifen konnten einige aggressive Blicke zu den Attentätern zu werfen. „So.. Ich brauche..“ Er wog den Kopf von einer Seite zur anderen, während seine Finger auf der nackten Brust herum trommelten. „Sagen wir.. acht.. Ich brauche acht Leute von euch.. Feldarbeit.. Wenn ihr es vermasselt, dann werdet ihr sterben. So einfach ist es.. Wer meldet sich freiwillig?“ Die Blicke wurden nun untereinander ausgetauscht, während sich Dogrem seiner Seite des Raumes zuwandte und mit knappen Gesten einfach acht von ihnen aus der Masse verwies, nur um den Rest fortzuscheuchen. Sie alle kamen seinen stummen Anweisungen nach, während es bei Kassis zwar etwas länger dauerte, aber keineswegs weniger Effizienz zeigte. „Aber.. warum?“, fragte jener Jüngling, welcher sich erst lautstark über die Zugänge aufregte und sich offenbar nicht die Blöße geben wollte sich nicht für die Feldarbeit zu melden. Er war einer der acht. Kassis schnarrte. „Ganz einfach.. Wir haben ein Drittel unserer Leute einfach mal so verloren, also sehen wir zu, dass der Kreis auch wieder ein Kreis wird.. Wir schließen keine Gleichgesinnten und Verbündeten aus. Jetzt Ruhe, ansonsten beweise ich, dass Leute ohne Stimmbänder nur noch merkwürdige Kehlgeräusche von sich geben.“ Der Jüngling zog den Kopf ein und die Schultern hoch, während sich Dogrem mit einem amüsierten Brummlaut eine vorgedrehte Zigarette in den Mundwinkel steckte. „Na also.. Sechzehn Leute und ein Herzwald, der Besuch erwartet.. Dann los.“
Keineswegs hätten sie geahnt, dass sie es tatsächlich von ihrem Unterschlupf bis zum Herzwald schaffen würden ohne entdeckt zu werden. Keine Patrouillen, keine Fallen und auch keine unangemeldeten Besucher in Form von anderen Kultistensträngen, die ihnen den Platz hätten streitig machen wollen. Nichts. Stattdessen begannen sie sich in bestimmter Ernsthaftigkeit aber nicht in Eile ein Lager aufzubauen. Inmitten des steilen Hangs war es und somit kaum wirklich zu erreichen. Zwar kamen die Kultisten unter Dogrem ohne wirkliche Probleme hoch, aber die Roben störten den Bewegungsablauf der anderen doch nicht gering. Keine Unstimmigkeiten gab es, als man aufgefordert wurde sich gegenseitig zu helfen, was sicherlich nicht wenig damit zu tun hatte, dass die beiden Aufseher äußerst eindrücklich nochmals die Tatsache verlautet haben, dass man hier entweder eine Masse ist, oder ein Abendessen für die, die zurück bleiben mussten. So half man sich also gegenseitig aus, ohne, dass es auch nur einmal stockte. Doch gerade, als einer der Attentäter das Lagerfeuer entfachen konnte, um gegen die Dunkelheit des späten Abends anzukommen, wurde es von Dogrem mitmal ausgetreten, der sich den Finger mahnend auf die Lippen legte und hinab in den Wald am Fuße des Hanges zeigte. Man war ihnen doch gefolgt. Krytanische Jagdhunde waren dort, die mit ihren breiten Schnauzen neugierig den Boden absuchten. Kassis drückte sich mit dem Bauch flach auf die spitzen Steine, während man die Decken des Lagers etwas auffächerte, damit sie den Unterschlupf besser verdecken konnten. „Wir übernehmen das..“, murmelte Dogrem ruhig, der sich zwei seiner Kultisten heranwinkte und dann nach unten scheuchte. Sie kamen dem nach und kletterten den Hang wieder hinab. Die Hunde scheuten sofort auf, begannen laut zu bellen und die Distanz zu den beiden zu suchen, welche ihnen regelrecht hinterher hetzten. Sie verschwanden mit den Tieren im Dunkel des Waldes. „Das ist aber nicht so seriös, wie ich es gedacht hatte..“, nuschelte Kassis, woraufhin der zweite Aufseher nur amüsiert aufbrummte. „Erst einmal gilt es den Lärmpegel zu senken..“ Wie aufs Stichwort hörte man das helle Jaulen der beiden Hunde, dann nur leises Rascheln und schließlich gedrückte Stille. „Da kommen sie..“, murmelte Dogrem dann, welcher sich langsam hinsetzte und nochmals hinab deutete. Tatsächlich kam eine Patrouille von zwei Seraphen hinterher, die mit Fackeln den Waldboden absuchten und auch fündig wurden. Das Feuer erhellte die aufgerissenen Kadaver der Spürhunde und wurde im Blut reflektiert, das sich über den Boden ergoss. Ein dumpfer Aufprall erklang dann. Die Patrouille wandte sich schlagartig um und erspähte einen geworfenen Stein. Ein äußerst helles, jedoch leises Sirren war es dann, welches als nächstes hörbar wurde. Dann das Scheppern von Metall. Der rechte von beiden zuckte kurz zusammen und schwankte zurück, ehe ihm der Kopf wortwörtlich von den Schultern fiel und Blut im Takt des noch schlagenden Herzens wie eine kleine Fontäne aus der offenen Arterie gestoßen wurde. Halt- und reglos fiel der restliche Körper dann einfach um, zuckte am Boden noch kurz unter letzten Refleximpulsen der Nerven, bevor der Tote endlich ruhig verblieb. Der verbliebene Seraph schwankte zurück, wandte sich immer wieder herum, das Schwert drohend erhoben und der Schild wie die Vergewisserung einer schützenden Wand auf seinem Rücken geschnallt. Jener Schutz wurde ihm zum Verhängnis. Der erste Kultist sprang aus der niedrigen Baumkrone, ließ sich direkt hinter ihm runter fallen und packte dabei den Schild an der oberen Kante, nur um mit der Fallwucht und dem Nachzug der eigenen Kraft aus den Schultern herunter zu zerren. Erschrocken japste der Soldat nach Luft und verlor den Boden unter seinen Füßen, als sein Rücken so derartig durchgebogen wurde und auch der Versuch alles mit rudernden Armen auszubalancieren scheiterte. Sein Gleichgewicht und auch sein Halt schwand. Dann kam der zweite Kultist aus den Böschungen und rannte mit gezogenen Klingen auf den fixierten Seraphen zu. Die Klingen wurden mit starr angewinkelten Armen gehoben und dann mit Wucht durch den Harnisch der Wache gestoben, die unter ersticktem Gurgeln Blut auswürgte, nur um unter versterbenden Röcheln mit ansehen zu müssen, wie eben jene Waffen mit einem weiteren Ruck den gesamten Rumpf bis zum Gürtelbund hinab gerissen wurden. Ihm platzte die Bauchdecke schmatzend auf, aus welcher sich die Gedärme plätschernd und nass ergossen. Der erste Kultist ließ vom Schild ab und die Patrouille achtlos auf den Boden stürzen, während der zweite seine Waffen wieder wegsteckte. Ein kurzer Austausch zwischen den beiden war sichtbar, bevor sie die Fackeln im vergossenen Blut löschten und sich der Position des Lagers erneut über den Hang hinauf näherten. Kassis neigte den Kopf schief, während der protestierende Kultist des Vormittags die Brauen langsam zusammen zog. „Und das werden wir nun also machen?“ „Richtig..“, murrte Dogrem, der seinen Schützlingen die letzten Meter hinauf half. „Wir bringen euch allen bei, wie man tötet und somit einen guten Dienst erweist.“ Kassis nickte bekräftigend. „Richtig, richtig.. Für was anderes sind wir nun nicht da.. In einer Woche sollten wir durch sein und die, die was taugen sogar noch am Leben.“