Unvorsicht
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Ein weiteres Niesen erschütterte den kräftigen Körper Dogrems, welcher daraufhin noch das Gesicht verzog, während ihm die Kapuze vom Kopf in den Nacken rutschte. Die Prügel, die er kassiert hatte, stachen bei jeder kleinsten Bewegung noch einmal wie ein Dolch nach. „Naja.. Jedenfalls kam Jacob noch gerade rechtzeitig nach, sonst wäre ich nicht mehr hier.“ Überraschtes Aufatmen ging durch die Reihe an Kultisten, die sich wie eine Menschentraube um ihn versammelt hatte. Wie so oft saß er in einer der vielen Gesellenkammern, die als Gemeinschaftsräume herhalten mussten. Sie erfüllten ihren Zweck tadellos. Nicht nur die eigenen Söldner und Auszubildenden waren anwesend, auch die eher rituell ausgelegten Kultisten waren anwesend, die unter Kassis' Aufsicht standen. Es war verhältnismäßig ziemlich voll. „Doch anstatt meines Lebens hat er was weitaus wichtigeres mitgehen lassen.“, schnaubte er dann übellaunig aus, nur um sich ein Stück zurück zu lehnen, um die linke Seite seines besetzten Gürtels zu zeigen. „Meinen Dolch.. Wenn der in falsche Hände gerät, dann ist die Hütte hier bald voll.“ „Dann sollten wir diesem Mistkerl hinterher und den Dolch zurück holen, Meister.“, protestierte ein jüngerer Kultist regelrecht, der ihm am steinigen Tisch gegenüber saß. Dogrem murrte und winkte salopp ab. „Nicht nötig.. Ich weiß, dass er mich und somit uns alle niemals in so eine knifflige Situation bringen würde. Nicht einmal für die unverschämten Preise, die er immer verlangt.“ Der Kultist zog die Brauen langsam runter. „Wie sicher seid Ihr Euch damit, Dogrem? Ihr kennt laut Eurer Erzählung nicht einmal seinen richtigen Namen..“ Der Bursche zuckte schwer zusammen ob des kalten Blicks, den er sich von Dogrem auf die Worte hin einfing, der dann doch nur grummelte. „Was sind Namen schon wert? Man muss wissen wo der richtige Körper zum gewünschten Zeitpunkt ist und gut ist.. Gerade bei einem Mesmer wie ihm.“ Unter dem leisen Knirschen seines ledrigen Mantels setzte er sich dann wieder auf. „Wenn ich es einschätzen müsste, dann würde ich behaupten, dass er sogar unbehelligt hier runter und wieder raus kommt. Ohne, dass einer von uns das bemerken würde.“ Die Stimmung im Raum kippte schlagartig. Ob der recht einschlagenden Worte des Attentäters, oder aber der Tatsache, dass plötzlich Kassis samt schuppigem Anhang auf der Schulter in den Raum kam, das war nicht wirklich ersichtlich.
„Du bist dir auch wirklich sicher, dass du ihn gestern in die richtige Zelle geschliffen hast?“ Dogrem starrte Kassis äußerst bohrend entgegen. Dieser hatte sich nun an die Stelle des Kultisten gesetzt, war dementsprechend dem Attentäter gegenüber positioniert, während sich der Raum großzügig geleert und die Menschentraube sich aufgelöst hatte. „Natürlich..“, kaute Kassis schmatzend auf dem Brötchen herum. Dogrem brummte, schwenkte den Blick aus den Augenwinkeln zu dem kleinen Leguan auf der Schulter des Kultisten. Zumindest war es nicht das Basiliskenjunges. Das Tier hatte die Augen halb geschlossen, die Zunge ein Stück rausgestreckt und lag mit einer leicht hechelnden Atmung haltlos herum. „Bist du sicher, dass es dem Vieh gut geht?“ „Es gibt noch andere Zellen?“, brachte Kassis sofort ein, als wäre ihm der Zustand des Getiers unangenehm, woraufhin er wieder der Fokus Dogrems wurde – und der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit im Raum. „Kassis..“, grummelte der Attentäter langsam, betont und äußerst zerknirscht, während er sich langsam zu ihm rüber lehnte. „Du hast ihn nicht ernsthaft in irgendeine, beliebige.. leere Zelle gepackt?“ „Uhm.. doch?“ Tief und bedächtig atmete der kräftige Mann durch, der sich ebenso langsam wieder zurück lehnte, den Halbnackten vor sich immer noch im Blick, während sich dieser den nächsten Bissen von seinem Brötchen gönnte. „Du hast.. einen wertvollen Gefangenen.. in IRGENDEINE Zelle gepackt?“ „Wertvoll?“ „Das war einer aus seinem Kreis! Natürlich ist er wertvoll!“ „Oh.. Aber er wird schon nichts anstellen!“ Dogrem begann mit den Zähnen zu mahlen. „Wie kommst du darauf?“, schnaufte er mit hörbar unterdrückter Wut, die Kassis mit Erfolg einfach überging. „Ich habe ihn entwaffnet!“ „Ein Schwert..“ „..und seine Rüstung abgenommen..“ „Kein Schutz..“ „..und dann habe ich ihn in die Zelle gebracht!“ „Unbewacht?“ „Was? Neeein.. Ich habe eine der Zellen genommen an denen deine Leute immer vorbei gehen, um zu patrouillieren.“ Dogrem zuckte mit der Braue. Hatte dieser Idiot es doch tatsächlich mal geschafft einen Gedankengang logisch zu Ende zu bringen. Ein Räuspern vom Nebentisch forderte die Aufmerksamkeit des Attentäters, während der Kultist weiter an seinem Brötchen herumkaute. Einer seiner eigenen Leute lehnte sich zu Dogrem rüber, nur um gedämpfter das Wort zu erheben. „Der ganze Gang ist so mit Kürbissen vollgebaut worden, dass wir die Patrouille unmöglich dort durchführen können.“ Dogrem bleckte die Zähne leicht, nur um zu Kassis zurück zu sehen. „Was soll das mit diesen Kürbissen im Gang?“ „Das sind Geschenke!“ Diese Aussage blieb mehrere Momente so im Raum stehen, während Kassis den Kopf immer schiefer neigte und der Ausdruck in Dogrems Blick etwas so derartig schlechtgelauntes annahm, das man es regelrecht schmecken konnte. „Was-?“ „Sag einfach nichts.“ Der Kultist neigte den Kopf langsam auf die andere Seite schief. Wieder einige, wenige Augenblicke der Stille. „Nichts.“, kam dann von Kassis. Dogrem zog die Luft mit einem derartig dröhnenden Geräusch ein, als würde ein Bulle in ein tiefes Schnaufen übergehen, bevor seine Aufmerksamkeit doch wieder von einer externen Person gefordert wurde. Es war Jacob, der sich mit einem leisen Räuspern ankündigte und sich zum Tisch stellte. „Meister.“ „Was gibt es, Jacob?“ „Der Gefangene ist weg.“
Der Blick Dogrems war zwischen den Fingern seiner linken Hand, welche er sich auf das Gesicht gelegt hatte, auf den zerstörten Gang gerichtet. Der Gang selbst besaß eine niedrige Decke, war aus dem blanken Stein geschlagen worden wie so vieles im Unterschlupf. Massive Türen aus dunklem Metall und rötlichen Schriftzügen auf der linken Seite waren in einem präzisen, gleichmäßigen Abstand von mehr als zwanzig Metern zu sehen. Zumindest bis vor einen halben Meter der Position des Attentäters, der sehr tief durchatmend seine Hand wieder sinken ließ und die Arme fest vor der breiten Brust verschränkte. Hier und da versuchten andere Anwesende, welche ob der Aussage Jacobs im Gemeinschaftsraum neugierig wurden, einen Blick über Dogrem und an Kassis vorbei zum Desaster zu erhaschen, doch traute sich keiner so wirklich näher heran zu gehen. „Und?“, schnaufte Kassis, der den Kopf soweit über die Schulter drehte, das einige Schaulustige in der ersten Reihe mit einem leicht angeekelten Laut zurück wichen, als hätten sie befürchtet ihnen springt gleich ein Halswirbel entgegen. Jacob löste sich von der Masse, räusperte sich leise und huschte zu den beiden Aufsehern vor, um sich links neben Dogrem zu reihen, welcher nun zwischen dem Burschen und Kassis stand. Zuerst zeigte er in die Zelle hinein, welche komplett sichtbar war, da die gesamte Wand in den Gang gestürzt war. „Also.. Da war er drinn..“ Sein Deut schwenkte zu den Überresten der Wand. „.. und da kam er raus.“ Die verkniffene Stimme des Burschen und auch der nasale Unterton sprachen nicht wenig dafür, dass er nicht zu viel sagen wollte. Wer wusste schon wann und in welche Richtung der Zorn von Dogrem ausschlagen würde, welcher während der Worte angespannt zu zittern begann. „Warum..“, kam es dann zerknirscht und verbissen von ihm, wobei Jacob langsam das rechte Auge zusammen kniff, als hätte er nur noch auf einen lauten Knall gewartet. „Warum haben wir das nicht gehört?“ Jacob blinzelte mehrmals, sah sich suchend nach einer Antwort um, nur um den Blick gen Boden zu senken und ein gedehntes Seufzen von sich zu geben. Auch Dogrem sah hinab, woraufhin sein rechtes Augenlid nervös zu zucken begann. Nicht nur trat so einiges an orangenem Matsch hervor, das eindeutig von Kürbissen kam und unter den Trümmern sicherlich noch schlimmer aussah, sondern auch noch Blut. Wer immer zu jenem Moment auf Patrouille war, oder aber normal Wache hielt, war nun eindeutig nicht mehr zu retten. Diese Vermutung bestätigte sich nur, als sich doch zwei Attentäter an dem wutschäumenden Vulkan Dogrem vorbei trauten und schweigend die ersten Trümmer zur Seite schoben, nur um den aufgeplatzten Leib eines Kultisten hervor zu ziehen. Als unter berstenden Geräuschen dann auch noch ein an der Wand anlehnender Steinhaufen zusammen brach, wurden auch dort weitere Spuren eines Totschlags sichtbar. Blut, Haare, Haut und Gedärm, sogar einige feine Knochensplitter klebten an der Wand, als hätte ein gewaltiges Beil eine stehende Person diagonal nach oben hin zerrissen und alles an das Gestein befördert. „Nun..“, murmelte Jacob dann etwas kleinlauter. „Anscheinend haben die Kürbisse einiges an Geräuschen verschluckt.. Ansonsten hätten wir das glatt bis zu den Portalräumen hoch gehört.“ Langsam. Sehr langsam drehte Dogrem den Kopf gen Kassis, der den Blick geschwind erwiderte und den eigenen Kopf auf die Seite neigte. „Was? Willst du MIR jetzt etwa die Schuld anhängen?“ So schnell konnte der Kultist gar nicht reagieren, da wurde er vom Attentäter an der Kehle gepackt und derartig kräftig gerüttelt, als würden irgendwann Goldmünzen aus ihm herausspringen. „DU GRENZDEBILER IDIOT HAST EINEN GEFANGENEN ENTKOMMEN LASSEN!“, brüllte Dogrem ihm laut und energisch entgegen, während sich Jacob etwas vorlehnte, um dem kleinen Leguan einen bedauernden Blick zuzuwerfen, da dieser auf Kassis' Schulter ebenso herumgeschleudert wurde. „Meister.. Das ist nicht so gesund..“, murmelte er dann zwar eindringlich, aber nicht ganz so autoritär wie es das wohl zu diesem Moment nötig gewesen wäre. Auch war nicht so klar, ob er damit nun wirklich Kassis' Zustand meinte, oder aber den des kleinen Schuppentiers, das irgendwann dann doch einmal einen leise fauchenden Laut von sich gab. Mit einem tiefen Schnauben drückte Dogrem dann den Kultisten von sich weg, der unangenehm an der Wand aneckte, bevor er sich grummelnd abwandte, wobei ihm die Schaulustigen äußerst großzügig auswichen. „Räumt dieses Desaster sofort auf und bringt mir den Gefangenen zurück!“, bellte er noch herrisch durch die Reihen, während seine Umrisse schon in der Dunkelheit des Ganges verschwanden, während ihm Jacob samt Leguan gleichermaßen schweigend nachsahen und selbst Kassis einfach mal nichts sagte.