Nur du und ich
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Langsam winkelte Dogrem sein lädiertes Knie an, woraufhin er die Luft scharf zwischen stark aufeinander gepressten Zähnen einzog und das Gesicht zu einer Grimasse verzerrte. Leinen waren um jenes gewickelt, ebenso um die Schulter. Schützend vor Dreck und stützend bei vermeintlichen Bewegungen. Man hatte das Hosenbein bis zum Oberschenkel auf- und schließlich abgetrennt, um es zu behandeln, selbst wenn die Behandlung nur das Entfernen der Kugel beinhaltete. „Das.. ist doch einfach bescheuert..“, schnaufte er durch, nur um das Bein doch so zu belassen wie es war und tief durchatmend im Deckenberg liegen zu bleiben, welches das Bett in seinem Raum ausmachte. Jenes vermeintliche Waffenlager wurde durch einige Fackeln an den Wänden erhellt, wodurch schummrige Schatten an die jeweils gegenüberliegenden Fassaden geworfen wurden. Auch eine kleine Öllampe stand auf dem Boden in direkter Reichweite des Attentäters, genauso wie eine halbvolle Kaffeetasse, welche er zwischen die schwieligen Hände nahm und zu seinen spröden Lippen anhob. Der Kampf war nun schon zwei Tage her und dennoch konnte er seine eigenen Knochen jammern hören, wenn er sich eine noch so kleine Bewegung erlaubte. „Eines Tages..“, schnaubte er in den dunklen Sud hinein, welchen er sich dann in den Rachen goss. Ein widerlich bitterer und auch noch kalter Geschmack. Er wusste gar nicht wie lange er denn wirklich schon so auf dem Rücken lag, unfähig überhaupt etwas wirklich zu unternehmen. Alle paar Stunden sah Jacob nach, ob er denn immer noch atmete, doch war das nie mehr gewesen als ein kurzer Anstandsbesuch. Das rege Treiben im Kreis ging auch ohne ihn weiter und er war insgeheim froh darüber. Das Wissen darum, dass er nur einer von Vielen war, erleichterte ihn stark. Keine Person von Dreh- und Angelpunkt, niemand der wichtig für irgendwelche Operationen war. Nichts. Zumindest war er sich bis zu jenem stillen Moment in seinem Raum sicher, welcher kein Stück anders war als all jene zuvor. Dennoch lag etwas in der Luft. Etwas, das auf ihn lauerte und ihn aufsuchen wollte, um ihn von der Wahrheit zu erzählen. Die Stille wurde unterbrochen, als sich die sperrige Tür öffnete und somit die Aufmerksamkeit Dogrems auf sich zog.
Dunkelheit. Elendige Dunkelheit. Und diese Kälte fernab des Winters und der Nacht. Kaltes Gemäuer entriss einem die Wärme aus dem Körper und hinterließ nur beißende Beklommenheit. Jede Bewegung erfror noch in ihrer Ausführung. Er war regelrecht blind geworden in jener Dunkelheit, die ihm überhaupt nicht zusprach und ihn hat lange herumirren lassen. Wo er war wusste er nicht mehr, doch war ihm klar, dass er keinesfalls stehen bleiben durfte. Wie in eben jenem Moment. Seine Atmung ging pfeifend, kehlig und schleppend. Sein Körper zitterte stark ob der Unterkühlung und ließ seine Rüstung leise klirren, die Ketten scheppern. Jeder Atemzug war ein eiskaltes Messer durch seine Rippen. Er stand auch nicht, sondern lehnte sich schwer mit der gesamten Seite an einer steinigen Wandfassade ab, deren Kälte er spüren konnte, immer, wenn er sein Gesicht daran drückte. Oder aber das, was davon übrig war. Seit fast einer Woche musste er so unterwegs sein und er konnte den Geruch, den Geschmack und auch den Gedanken an Kürbisse langsam nicht mehr ertragen, doch schienen diese das einzig essbare in jenem finsteren Labyrinth gewesen zu sein, welche er sich auf der Flucht ohne Probleme hat abgreifen können. Eine Flucht war es gewesen. Keineswegs vor der Zelle in welche man ihn bei Ergreifung sicherlich stecken würde, sollte man ihn nicht gleich umbringen. Nicht vor ihr. Jedoch vor jenem gepanzerten und gerüsteten Wesen, welches ihm schon am Tag seines Ausbruchs auf den Fersen war und ihm hinterher hetzte, nur um im Moment seines Zusammenbruchs mit ihm zu Rasten. Das war keine Verfolgung, sondern eine Hetzjagd bis an die Grenzen. Ein Stück drehte er den Kopf von der Wand weg, um den Blick aus seinem verbliebenen Auge auf jene schwer erkennbaren Umrisse zu lenken, die weitaus größer und auch weitaus breiter waren, als er selbst.
„Wie schön, du bist wach.“ Worte, die Dogrem niemals zu hören erwartet hätte. Vor allem nicht von ihm. Kassis trat gemächlich ein, schleifte dabei einen gefüllten Sack hinter sich her in welchem der Attentäter den nächsten Kürbis vermutete und es sich nicht verkneifen konnte mit den Augen zu rollen. „Och, nicht so ein Blick, Dogrem.. Ich wollte dich auch nur besuchen, um nach dir zu sehen.. Wie geht es dir?“ Die Tür knallte selbstständig zu. Er hinterfragte schon gar nicht mehr warum was in Anwesenheit Kassis' passierte. Es geschah einfach und er war daran schuld. So einfach hatte er sich das Leben unter diesen Kultisten gemacht, welche ihn und seine Art so mit offenen Armen aufnahmen. Unlängst lebten sie bereits in Abgeschiedenheit, fernab von Recht und Gesetz. Wer starb, der starb und verlor all seinen Besitz an den, der überlebte. Die einen für sich, die anderen für ihre Götter. So einfach hatte man es sich gemacht. Und dann kam Kassis. Jener setzte sich einfach bequem mit auf den Deckenhaufen, zog den prallen Sack vor sich auf den Boden und drehte den Kopf, um den verdeckten Blick auf das blutige Knie des Attentäters zu richten. „Warum hast du nicht nach einer Versorgung gefragt? Mit einem einfachen Ritual bekommen wir das binnen einiger Momente wieder hin..“ Einfaches Ritual. Er sagte das gerne, aber nicht inflationär. Alles, aber auch alles war aus seiner Sicht einfach, oder aber unnötig. Nie machte er sich Sorgen. Nie kam eine Beschwerde und nie auch nur ein Moment des Zweifels. Eine gefährliche Mischung aus Arroganz, Überheblichkeit und einem schier bodenlosen Brunnen aus Macht und Möglichkeiten. Nichts was man gerne in seiner Nähe haben wollte. Kurz zögerte Dogrem auf die Worte des Kultisten hin, nur um ein Murren von sich zu geben. „Um aus meinen Fehler zu lernen ihn zu unterschätzen.“, schnaufte er aus. „Was soll man lernen, wenn man die Konsequenzen einfach abgenommen bekommt? Man verweichlicht, man überschätzt sich irgendwann und merkt nicht mehr, wann man dabei ist eine überlebenswichtige Grenze zu überschreiten.. Hätte ich das früher realisiert, dann hätte ich auch besser reagieren können. Er wäre uns dann nicht entkommen und wir hätten den Kampf nicht verloren, bis du dazu gekommen bist.“ Flüchtig ruckte er dann mit der rechten Braue, als er merkte welch Vorlagen er Kassis damit nicht gegeben hatte. Doch statt einem unangenehmen Kloß im Hals und einem Druck in der Brust, welcher er erwartete, lief ihn ein eiskalter Schauer über den Nacken, als der Kultist nach einigen Momenten das Wort gedämpft und doch äußerst direkt erhob. „Du hättest den Kampf auch alleine gewinnen können, wenn du auch nur einen Moment richtig gegen ihn gekämpft hättest.“
„Was willst du überhaupt..“, schnaufte er mit trockener Kehle. Sein Auge schloss sich und er lehnte den Körper müde verstärkt am kalten Stein an. „Du verfolgst mich schon.. schon seit so vielen Tagen.. oder seit einer Woche..“ Keine Antwort. Er bekam nie eine Antwort von dem Wesen, welches ihn schon so lange jagte, verfolgte und ihm hartnäckig auf den Fersen blieb. Jedoch war er sich sicher, dass es menschlich war. Immer wieder hörte er ein leises, raues Kichern, wenn er stolperte, oder aber gegen eine Wand rannte. Doch weswegen der Verfolger keine Hilfe dazu holte, oder aber andere über seinen Weg benachrichtigte, das konnte er selbst nach all den Tagen nicht sagen. Selbst wenn er sich in einer Sackgasse aufgefunden hatte, dann wurde er nicht gepackt. Man machte im Platz, um wieder zurück zu gehen und einen neuen Weg aufzusuchen. Auch zog er oft das Schwert, schlug damit nach dem Wesen, welches nicht getroffen wurde und daraufhin wieder ein Kichern von sich gab. Seine Klinge schlug wie durch Rauch. Er wurde zerschnitten, wirbelte auf und fügte sich doch wieder zusammen. „Wie wäre es..“, murmelte er dann und richtete sich vermehrt auf, sich weiterhin komplett an der Wand abstützend. „.. mit einem Ende, hm? Ich kann nicht mehr lange.. und will auch nicht mehr.. Eine letzte Verfolgung und wenn du mich kriegst, dann darfst du.. darfst du mit mir anstellen, was du willst..“ Die Gestalt stockte und schwieg. Es war kein Kichern welches ihm entgegen gebracht wurde, sondern ein langsames, jedoch sichtbares Nicken. Dann trat die Gestalt wieder weiter zurück, um ihm Raum zuzusprechen. „Das kann was werden..“, schnaubte er aus, wandte sich herum und stürmte sogleich los, während die scheppernden Geräusche hinter ihm wieder erklangen und seine Verfolgung aufnahmen.
Dogrem starrte Kassis entgegen. Er fand keine Antwort darauf, keine Worte. Nackt fühlte er sich, durchschaut und ohnmächtig. Vieles erwartete er, allem voran ein schneller Tod und eine Opferung mit seinem Leib an Dhuum, Menzies oder aber Abaddon. Dennoch kam keines davon, nichts von all jenen Gedanken und Vorstellungen, die ihm in Kürze durch den Kopf gingen. Stattdessen nickte Kassis ihm auffordernd hoch. „Also, was ist nun? Die Wunden verheilen, oder aber nicht? Ich weiß, dass er noch einmal mit dir sprechen will und ich will dabei sein!“ Dogrem verengte seine gläsernen Augen dämmernd. „Er wollte keine andere Person dabei haben..“ „Ich bin eine Person?“ Mehrmals winkte Kassis ab. „Wenn er mich öffentlich sieht, dann sollte das kein Problem sein.. Dann weiß er wer da ist und das hat sich. Er kann auch auf Distanz bleiben, hm? Müssen ihm dann nur noch einen Unterhändler schicken..“ „Das wird das schwierigste Problem sein.“ „Habe es schon gelöst.“ Skeptisch war der Seitenblick, welcher sich der Kultist kassierte. „Und wie?“, murrte der Invalide, woraufhin Kassis leise kicherte. „Habe Jacob geschickt..“ „BIST DU BESCHEUERT?!“ „Ja was? Dann weiß er doch, dass es ernst gemeint ist!“ Jacob. Soweit es ihm bekannt war, war der Bursche einst ein Schüler jenes Mesmers gewesen, den Kassis nun so offensichtlich dringend sehen wollte. Wieder fragte sich Dogrem nicht warum und dennoch hob er den Blick fragend zu ihm an. „Was genau ist letztens eigentlich passiert? Wie lange hast du uns beobachtet?“ „Lange genug.“, brummte der Kultist. „Das war auch nicht Jacob, der da seine minderen Fertigkeiten im Mesmerismus hat aufblühen lassen, sondern zwei weitere deiner Attentäter, die ich mitgebracht habe.. Waren meine Illusionen wirklich so schwer, dass ich selbst dich getäuscht habe?“ Er neigte den Kopf schief, während sich Dogrem durchatmend durch das Gesicht wischte. „Ja.“, grummelte er dann, bevor er bei dem schrillen Kichern Kassis' zusammen zuckte. „Meine Ohren..“ „Ja ja, deine Ohren. Also, ich versorg' jetzt deine Wunden und dann bereiten wir uns auf morgen vor!“ „Morgen?“ „Ja, er soll sich beeilen.. Habe ich auch ausrichten lassen.“ Der Kultist beugte sich zu dem Sack runter, hielt allerdings bei einem Murren des Attentäters inne und sah auf. „Ja?“ „Was ist da drinn..“ „Ein Kind!“ Stille. „Da ist was drinn?“ „Ein Kind!“ Ein leises Schniefen aus dem Sack, bevor sich der vermeintliche Kürbis langsam bewegte und aufsetzte. „Ich will zurück..“ „Gibt kein zurück.“, grummelte Kassis. „Deine Eltern sind tot.“ Unter dem lauten Aufheulen des Kindes warf Dogrem Kassis einen undefinierbaren Seitenblick zu, woraufhin dieser die Schultern anhob. „Was? Bin ich zu ehrlich?“ „Du bist einfach unmöglich..“, schnaubte der Attentäter, zog eine seiner beiden Dolche und warf diesen mit Wucht nach dem Kind. Unter einem feuchten, jedoch lauten Knacken schlug das Metall im Schädel ein. Sofort verstummte das Waisenkind, zuckte noch einmal und stürzte dann einfach um, bevor sich erst der Sack nass verdunkelte, ehe sich eine nicht unerhebliche Blutlache unter ihm ausbreitete. „Dann mach.“, brummte Dogrem, der sich wieder bequemer in die Decken legte, während sich Kassis erhob und zu dem immer noch zugeschnürten Sack ging, um mit der gesamten rechten Hand einmal durch das Blut zu wischen. Sich abwendend, ging er zum Attentäter zurück, beugte sich vor und riss diesem die stützenden Leinen am Knie auf, nur um direkt auf die aufgeblähte und nässende Wunde merkwürdige Schriftzüge zu schreiben. Diese begannen zu leuchten, als er sie mit einem geschlossenen Kreis verband. Leicht angeekelt verzog Dogrem das Gesicht ob des widerlichen Gefühls, als würde man einen offenen Knochen ablecken, doch beschwerte er sich nicht. Der Schmerz wurde gedämmt und die zerschlagenen Knochen samt Knorpel schoben sich wieder zurück. Während sich das Gewebe unter leisem Zischen wieder zusammen setzte, machte sich Kassis auch um die Schulter Dogrems her, der ihn aus dem Augenwinkel beobachtete. „Morgen dann?“ „Morgen dann.“