Kälte I
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Der Schnee knirschte und knarzte leise bei jedem Schritt, den er barfüßig zurück setzte. Laut johlte der Wind um ihn herum, peitschte kalt und schneidend über seinen freien Oberkörper, während seine Finger fast schon freudig der Erwartung auf Kommendes zuckten. Die Kälte machte ihm nichts aus. Die Tatsache allerdings, dass er seit Tagen schon umher irrte und noch keine Siedlung fand, DAS war es, was dem Kultisten nicht schmecken wollte. Hätte er raten müssen, er hätte wohl geschätzt irgendwo in der Nähe der Wanderer-Hügel zu sein. Vielleicht genau in jenen Gefiltren, vielleicht auch ganz woanders. So genau wusste er das gar nicht, was ihm dann auch ein durch die Leinen gedämpftes Seufzen entlockte. Sein Kopf hob sich und sein verdeckter Blick ging wohl genau auf jenes Wolfspack, das sich ihm langsam und pirschend annäherte. „Oh, das kann doch nicht euer Ernst sein!“ Schnell wich er zurück, um mehr Distanz zwischen sich und sie zu bringen, ehe er stockte. Die Tiere waren nicht von Fell bedeckt, sondern von feinsten, scharfkantigen Eiskristallen. Eisbrut. Seine Finger krampften sich nun. Ein weiteres Knarzen des Schnees, als sich Sohlen in diese gruben – doch waren es nicht seine Sohlen. Als er sich umwandte, um dem Hünen von in Eis gehüllten Norn entgegen zu sehen, kam ihm schon eine barbarische Keule entgegen die ihn in die Dunkelheit der Ohnmacht warf.
Ein Zucken durchfuhr ihn, dicht gefolgt von einem stechenden Schmerz, der ihm tief in der Stirn saß. Langsam zog er die Beine an den Körper, wodurch er erst merkte, dass eine Decke über ihm lag. Dann, vorsichtig, öffnete er die Augen und sah sich mit leicht verschwommenen Blick um, der mit der Zeit erst wieder schärfer wurde. Er lag auf mehreren Decken inmitten eines spärlich dekorierten Zeltes. Ein paar geschlossene Kisten standen herum, ebenso kleinere Tische, um welche man sich setzte und es sich auf den ausliegenden Sitzkissen bequemte. Ein paar Kordeln mit aufgefädelten Perlen, Knochen, Federn und anderen Zierden hingen von den Holzgestängen, die die Zeltwände gespannt hielten und schmückten somit das Innenleben etwas aus. Auch Malereien taten ihren Teil dazu, um dem Ganzen etwas liebenswürdiges zu verpassen, während sogar noch die Töpfe voller Fingerfarben dort am Boden standen. Auch war es herrlich warm, stand doch dort mitten im Raum eine angeheizte Kohlenpfanne. Vorsichtig atmete er ein, nur um mit allem inne zu halten, als er die Stimmen außerhalb des Zeltes hörte. Es waren nicht viele, aber laut genug. Vier Personen waren es wohl, zwei davon weiblich, eine männliche und dann noch die eines Kindes. Kinder. Wie soll man denn die Stimme eines Kindes einem Geschlecht zuordnen. Er rollte mit den Augen, schloss diese und rieb mit seinem rechten Handrücken über die geschlossenen Lider, nur um abermals zu stocken. Er fühlte seine Leinen nicht. Ruckartig vergriff er sich an verschiedensten Stellen seines Körpers. Er spürte seine Haare, seine Lippen, seine Schultern. Als er dann die Decke hochhob, um seinen Unterleib zu inspizieren, sah er mehr als ihm lieb war. „Gah!“, entkam es ihm, bevor er sich hektisch umsah, ehe ihm seine gesamte Garderobe nicht unweit in den Blick fiel. Die Hose mit ihren Kordeln, der Gürtelbund weit ausgelegt, sogar der schmale Dolch in der Lederscheide war dort. Nicht minder die Leinen – allerdings ohne ihre Schriftzüge. „Ewig verdammte, grenthliebende.. Gaahh!“ Er sprang auf, griff sich seine Hose und zog sich diese samt Untersatz sofort über, bevor der Gürtelbund mit dem Dolch drann war. Sogar die Pergamentrollen fand er, die nicht minder unter dem Stoff verschwanden. Dann griff er sich die Leinen, die er mittig faltete und den Knick dann präzise auf seine Stirn legte, ehe er sich den festen Stoff in rasanter Geschwindigkeit und routinierter Bewegung umlegte, bis nur noch die Arme fehlten, die mit den überlangen Enden ebenfalls umwickelt wurden. Dann kamen die Finger drann, von welchen auf beiden Seiten jeweils Zeige- und Ringfinger frei blieben. Kaum fertig spürte er einen kalten Luftzug, welcher ihn aufschrecken und umdrehen ließ.
Erneut ein Norn. Ein bulliger Riese im Gegensatz zu dem Kultisten, welcher zwar für seine Art schon großgewachsen war, doch von dem Mann nun in den Schatten gestellt wurde. Ein zernarbtes, markantes Gesicht war wohl hinter dem dunkelbraunen Vollbart und den zu Zöpfen geflochtenen Haaren, die ihm in den Stiernacken runter glitten. Seine Kleidung entsprach dem eines Jägers, war alles aus Fellen und Bälger belegt, mit Leinen und Kordeln befestigt, mit hartem Leder verstärkt und sogar Metallelemente fehlten nicht, die gerade bei den Gelenken ihren Platz beanspruchten. Das Paar blauer Augen traf das wieder vermummte Gesicht des Kultisten, welcher mitmal unruhig auf der Stelle herumtrat. Mehrmals blinzelte der Norn, nur um in ein bellendes Lachen zu verfallen. „Es ist schön zu sehen, dass Ihr wieder wach seid! Dachte schon, dass ich dem Kerl die Keule zu spät aus der Hand geschlagen habe.“ Schlagartig blieb der Vermummte ruhig stehen. „Was?“ Abermals ein tiefes Lachen, ehe der gewaltige Norn ihm breit grinsend zunickte. „Da war ein Sohn Svanirs, der Euch die Rübe einschlagen wollte.. Ein Glück kamen wir gerade noch rechtzeitig vorbei, ansonsten würdet Ihr jetzt nicht mehr so drollig herumzappeln können.“ Die Schultern des Kultisten sanken ein Stück runter. „Wie.. nett von Euch, dass Ihr mir geholfen habt.. Dieser Kerl hatte mich mit seinen blöden Hunden fast erwischt.“ „Ohja.. Ich war noch einmal an der Stelle und habe das hier gefunden.. Gehört das Euch?“ Die breite Hand griff unter den noch breiteren Harnisch, ehe ein schmuddeliges Buch hervor genommen wurde. Zumindest war es das sicherlich mal. Die Ränder stark eingebrannt und der Rest enorm abgegriffen, war auf dem ledrigen Einband dennoch noch das Muster eingestickter Blumen zu erkennen. „Es.. würde mich zwar wundern..“, begann der Norn grübelnd, während er sich mit der freien Hand durch die Zöpfe kratzte, nur um verdutzt blinzelnd zusammen zu zucken, als der Vermummte ihm das Buch mit einem schrillen „Gah!“ aus der Hand riss. Der Kopf des Kultisten reckte sich fadenscheinig zu dem Gesicht des Norns. „Ihr habt doch nicht darin gelesen, oder etwa doch?“ „Uhm..“, kam es zur Antwort, ehe dem Vermummten abermals dröhnend entgegen gelacht wurde. „Nein, keine Angst.. Ich lese nicht in den Tagebüchern von Fremden.“
Der Vermummte rieb sich leise seufzend über seinen sehnigen Bauch, während der Norn seine breite Stirn in Falten legte. „Stimmt etwas nicht?“, brummte er ihm zu, woraufhin ihm ein mehrmaliges Abwinken geboten wurde. „Ich.. finde es nur etwas schade..“, begann der Kultist langsam und gedehnt. „.. dass die ganzen Malereien wieder weg sind.. Habt Ihr hier.. Stifte? Federkiele? Irgendetwas in der Form?“ Der Hüne deutete ihm zu den Farbtöpfen. „Wenn Ihr Euch bedienen wollt, dann bitte.. Was bedeuteten diese Dinge eigentlich überhaupt? Clara meinte, dass man das dringend wegwaschen müsste.. Unheil und Dergleichen.. Meinte, Ihr wärt Opfer von irgendetwas gewesen und auf der Flucht..“ Einige Momente blieb der Kultist nur so stehen, lauschte den Worten der tiefen Stimme, ehe er dem Norn ein bedächtiges Nicken entgegen brachte. „Opfer.. Ja.. Ich erinnere mich..“ Er deutete über die Schulter zu den Töpfen. „Ich.. mach dann einfach mal, ja?“ Der Norn entgegnete ihm für seinen Teil ein weiteres, verdutztes Blinzeln, nickte dann allerdings ebenfalls. „Natürlich, nur zu.“ Mit leisem Brummen und Grummeln huschte der Vermummte dann zu den Farbtöpfen und hockte sich vor ihnen hin, ehe er damit begann sich abermals in vollkommener Routine mit den freien Fingern neue Schriftzeichen auf die Leinen aufzutragen. Linien, Zeichen, Symbole, Zirkel. Durcheinander und doch so ausgelegt, dass es so wirkte, dass es alles vorher schon fest bestimmt war. Nicht selten wurden bereits besetzte Schriftzüge neu übermalt, oder aber mit Mustern verbunden. Nach den Leinen folgte dann auch der Oberkörper. „Was wird das?“, hörte er den Norn hinter sich neugierig brummen, woraufhin er mehrmals über die Schulter hin abwinkte. „Jeder hat so seine Eigenheiten..“ „Das kann ich bestätigen.“, brummte der Hüne blinzelnd, ehe er sich wieder durch die Zöpfe kratzte. Mit den augenscheinlichen Schmierereien endlich fertig, blieb der Kultist einen Moment einfach so hocken, ehe er den Oberkörper verdrehte und verdeckt zum Norn hinauf sah. „Könntet Ihr Euch.. kurz umdrehen? Ich sage Euch dann, wenn ich fertig bin.. Dauert nicht lange..“ „Hmm.. In Ordnung..“, kam es dann doch eher skeptisch und zögernd zurück, ehe sich der Riese umwandte und in die andere Richtung sah. Sofort packte der Kultist den Dolchgriff. Die Klinge wurde gezogen, erhoben und dann präzise zugestochen. Das Blut floss still. Der Norn schnupperte in der Luft. „Habt Ihr Euch verletzt?“ „Nein, nein.. Macht Euch einen Kopf, ich bin hier gleich fertig.“ Statt dem Norn die Kehle durchzureißen, hatte sich der Kultist die Schneide durch die entblößten Finger gezogen. Die Klinge wurde am Oberschenkel abgestriffen, dann zurück in die lederne Scheide gesetzt, bevor er die ganzen gesetzten Zeichen mit dem Blut wieder verrieb. Erst ging es über sein verdecktes Gesicht, dann mit überkreuzten Unterarmen über die Schultern, damit jede Hand den jeweils anderen Arm abreiben konnte, bevor die Brust und auch der Bauch folgte. Dann streckte er die Arme von sich, ließ das Blut auf den Teppichboden tropfen, nur um den Oberkörper erneut langsam zu drehen, so dass das Sekret einen Kreis um ihn herum bildete. Erneut wurden Zeichen geschrieben, dieses Mal aus dem Blut des Kreises heraus. Schließlich hielt er kurz inne, als hätte er sich für den darauffolgenden Akt sammeln müssen. Der Rücken drückte sich unnatürlich durch, die Arme streckten sich ein weiteres Mal, bevor sich das Rückgrat schlagartig begradigte und die Handflächen aufeinander zurasten, bevor der gesamte Leib in einer Starre verfiel. Die Schmierereien begannen unheilig aufzuleuchten, begannen das Blut restlos aufzusaugen und bildeten erneut die ersten Zeichen auf seinem Leib, während auch der Kreis auf dem Teppich einfach verschwand, nicht minder der Fleck auf seinem Oberschenkel. Sogar der stechende Schmerz hinter seiner Stirn entschwand. Einen Moment blieb er noch so in der Hocke verweilen. Dann richtete er sich auf und wandte sich dem Norn zu. „So.. Das war es auch schon.“ Mit einem fragenden Ausdruck im Gesicht drehte sich der Riese herum und musterte den Kultisten etwas skeptisch. „Das.. ist schön, ja..“ Er nickte zögernd, grinste dann allerdings wieder und deutete über die Schulter. „Gehen wir raus? Die anderen wollen sicherlich sehen, dass es Euch wieder besser geht.“ Der Vermummte zog die Schultern hoch. „Warum auch nicht?“, antwortete er ihm, nur um sich regelrecht zu verkrampfen, als der Norn die Zeltdecke ohne Vorwarnung aufschlug und die beißende Kälte in das wohlig warme Zelt reinschlug. „Gah! Könnt Ihr mich denn nicht vorwarnen, bevor Ihr hier den halben Winter rein lasst?!“, keifte er ihm schrill entgegen, woraufhin nur zum vierten Mal ein lautes Lachen erklang.
Vermeintliches Tagebuch.
Ich hasse Norn, habe ich das schon einmal gesagt? Ich hasse sie. Nein. Geschrieben. Ich habe es sicherlich noch nie geschrieben, dass ich sie hasse. Also: Ich hasse sie. Große Gestalten mit mehr Muskeln, als so manch Charr und die schlimmste Eigenschaft ist ihr Mitgefühl. Zumindest bei dem, den ich dort getroffen habe. Sicherlich sind andere genauso. Ohja. Sind doch ohnehin immer alle gleich. Aber noch schlimmer als das Mitgefühl ist es, wenn aus dem Mitgefühl plötzlich Hass wird.. und der Hass dann auch noch Fell bekommt. Ich hasse sie.