Blindes Vertrauen
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„Und das soll noch einmal was genau bezwecken?“ „Es soll unsere Flucht garantieren!“ Dogrem seufzte gedehnt aus und zog seine Brauen ein Stück weiter runter, bevor er sich erneut zu vermummen begann mit Schal und Kapuze. Noch einmal warf er dem merkwürdigen Siegel in seiner Hand einen schiefen Blick zu, nur um es doch unter den Harnisch zu betten, auf dass es nicht heraus fallen möge. Die Flucht garantieren. Dieses Ding sollte ihm oder aber Kassis ernsthaft die Flucht garantieren. Je nachdem, wer als erstes auf die vorgeschriebenen Runen kommen sollte, war in Sicherheit. Der andere musste sich anderweitig aushelfen. „Es ist dennoch eine grenzdämliche Idee.. Und sollte sich mir die Chance bieten, dann lasse ich dich hier einfach alleine zurück.“, schnaubte er aus und beobachtete Kassis, wie dieser Pergamente beschrieb und zusammen rollte, nur um sie in den schlammigen Grund des Gottlosen Sumpfes zu stecken. Es waren viele, sehr viele Schriftrollen, die dadurch irgendwo im Matsch verschwanden. Nicht nur das Gewässer selbst, sondern auch das Ufer wurde vorbereitet, als hätte der Vermummte tatsächlich aus dem letzten Handgerangel mit dem Soldaten gelernt. Ein Wunder. „Du glaubst also ernsthaft, dass er noch da ist?“ „Warum sollte er das nicht? Er.. kann doch.. schlecht..“ Kassis hielt inne und wandte sich unter dem leisen Plätschern des Wassers zum Attentäter herum. „Er kann laufen, oder?“ „Zum Grenth, ja! Kann er!“, blaffte Dogrem derartig gereizt, dass Kassis zusammen zuckte und die Hände abwehrend anhob. „Ganz ruhig.. Entweder er ist da, oder wir-“ Dogrem gab ein tiefes Knurren von sich. „-Ich kann die Steine aus dem See holen.. Klingt doch gut, hm?“ Mit einem weiteren Schnauben wandte sich der Attentäter dann doch nur von selbst ab und ging beinahe schon stur in Richtung des einst schon angestrebten Sees. Kassis folgte ihm rasch und geschmeidig, nur um wie er ruckartig stehen zu bleiben, als sich abermals die Umrisse des Soldaten abzuzeichnen begannen. „Uhh.. Ich habe jetzt schon eine Ahnung, dass wir kämpfen müssen!“, kicherte Kassis, der sich ins Wasser runter hockte und eine weitere, jedoch in eine Phiole gebettete Schriftrolle in den Schlick zu drücken. „So.. Unsere Flucht ist damit garantiert, also können wir anfangen.“ „Mit dem Hinterhalt?“, erkundigte sich Dogrem mit einem Unterton, der bereits davon sprach, dass er die Antwort schon kannte. Kassis richtete sich auf und riss die Arme über den Kopf. „HE!“, brüllte er regelrecht durch den ganzen Sumpf, was noch lange weiter getragen wurde. Sehr langsam drehte Dogrem den Kopf zu ihm rüber. „Du wirst die nächsten Missionen ohne mich unternehmen.“ Kassis' Kopf ruckte zu ihm rüber. „Aber warum?“, nuschelte er verständnislos, bevor sie beide schlagartig zum Soldaten sahen, der sich unter dem leisen Reiben seiner Platten zu ihnen umwandte und sie mit seinem Blick fixierte.
„Verdammt!“, fluchte Dogrem lautstark und wich kraftvoll nach hinten aus, um dem Beidhänder des Soldaten auszuweichen. Das Schwert schlug durchs Wasser und wurde auch gleich wieder hochgerissen, um Kassis abzuwehren, der dem Soldaten regelrecht aus den Baumwipfeln entgegen gesprungen kam und ihn mit seinem Eigengewicht und der Wucht nach hinten riss, weg von Dogrem. Jener zog wieder sein Schwert aus der Gürtelschlaufe und rannte ihnen sofort hinterher. Es hatte keinen Sinn. Der Kampf hier in einer Umgebung angereichert mit Wasser war komplett sinnfrei, hatte sich das Nass doch schon längst wieder zu einer eisigen Fläche verzogen. Man kämpfte auf einem Gebiet zum Vorteil des Gegners. Der Attentäter hatte das schon längst realisiert und dennoch war es Kassis, der ihn dazu überredet hatte es noch einmal darauf ankommen zu lassen. Vielleicht lag es wirklich an so etwas wie Vertrauen, welches er diesem halbnackten Irren zukommen ließ – oder an der Tatsache, dass man sich vorbereitet und abgesichert hatte. Das alles konnte jedoch nicht einmal im Ansatz die Situation rechtfertigen in welcher sie sich befanden: Erneut im Kampf mit diesem Soldaten. „Das wird so nichts!“, brüllte Dogrem, der seine Klinge anhob, bevor sie ihm durch einen Querschläger des Beidhänders aus der Hand gerissen wurde. „Das hat zu werden!“, fauchte Kassis zurück, den der Soldat am Schultergelenk packte und nach Dogrem warf, der dadurch den ganzen Weg wieder zurück gerissen wurde. Während der Vermummte wortwörtlich wieder auf seine Füße sprang, kam der Attentäter nur schwerfällig überhaupt wieder vom zugefrorenen Grund. Weitaus schlimmer als das Eis war allerdings die Kälte, welche er jetzt, da er sich nicht mehr zum Kampf bewegen musste, erst wirklich realisierte. Mit einem tiefen Schnauben drückte er sich weiter von der Fläche ab, doch begann er zu stocken. Es wurde viel zu schnell schwarz um ihn herum. Er merkte, wie sich das Blut aus seiner Haut zurück zog, um die Organe zu versorgen. Dann verschwammen die Umrisse, während sich auch die Geräusche entfernten. Dann merkte er, wie sich die Hitze in ihm verbreitete, als sich seine Blutgefäße schlagartig erweiterten, als würden sie so versuchen dem Körper noch einmal die benötigte Wärme zukommen zu lassen – zum Leidwesen der Organe. Fatale Selbstschutzreaktion des Körpers. Er sank reglos auf das Eis zurück und wurde von der Ohnmacht eingeholt.
Das laute Platschen von Wasser ließ Dogrem erwachen. Die Augen weit aufgerissen trieb er reglos im Wasser. Sein Kopf war unter der Oberfläche, die Geräusche dementsprechend stark gedämpft, während sein gesamter Körper unter seiner Bekleidung zitterte und krampfte. Langsam schweifte sein Blick über den schlickigen Grund aus den Augenwinkeln neben sich. Er konnte nur vage die Umrisse und die Farben erkennen, realisierte allerdings trotzdessen, dass Kassis direkt neben ihm im Wasser trieb. Man hatte sie erneut erfolgreich zurück geschlagen. Sein Blick schwenkte zu seiner eigenen, rechten Hand. Stark abwesend und immer noch von der Ohnmacht benebelt, begann er vorsichtig seine Finger unter dem festen Leder zu bewegen. Man sah es nicht, nicht einmal im Ansatz, aber er begann mit der eigenen Reanimation seines Leibes. Er wollte es nicht einmal wissen wie lange er überhaupt bereits so komplett ohne Atmung unter Wasser hing, jedoch war es ihm wohl zum Vorteil gekommen, dass sein Körper ohnehin am Rand des Endes war. So genau wusste er es nicht, jedoch war es ihm nur recht. Er hatte überlebt. Dann forderte plötzlich etwas seine Aufmerksamkeit. Schwere, dunkle Stiefel wirbelten den Schlick auf und näherten sich ihrer Position gefährlich direkt. Dogrem biss die Zähne fest aufeinander. Er wusste ganz genau wer sich da annäherte. Dann kam ihm plötzlich etwas ganz anderes in den Sinn und er richtete den Blick unter sich. Sein Körper krampfte sich noch mehr. Die Phiole war noch da. Sofort richtete er sich auf, woraufhin jede einzelne seiner Sehnen vor Schmerz aufschrien, doch verkniff sich der Attentäter jedes kleinste Geräusch. Sein Blick traf den des Soldaten, der seinen Beidhänder bereits auf sie herab fallen ließ. Mit Kraft drückte sich der Attentäter nach hinten ab, packte Kassis unter der Schulter und trat zurück. Er spürte noch, wie sein Stiefel die Phiole vermehrt in den Schlamm drückte, bevor er ein Stück zurück stolperte, als seine Sohlen festen Grund unter sich fanden. Direkt vor ihm war eine massive Steinwand, an welche er sank, während sich sein Griff lockerte und Kassis dadurch dumpf zu Boden sank. „Meister!“ Dogrem zuckte leicht. Es war Jacobs Stimme. Langsam drehte sich der Attentäter herum und erblickte seinen Schützling, genauso wie drei weitere Kultisten. Sie saßen auf dem Boden, richteten sich allerdings sofort auf, als die beiden Aufseher auftauchten. Es war ein sehr kleiner Raum aus massiven Stein, der aussah, als hätte man ihn in einen Berg rein geschlagen. Die Wiese direkt vor der türlosen Pforte bestätigte seine Vermutung. „Was.. Was machst du hier?“, grummelte Dogrem Jacob an, der den Kopf ein Stück einzog. „Es.. Kassis hat es uns aufgetragen, Meister..“, murmelte er doch gut kleinlaut, während sein Vorgesetzter klitschnass an der Wand hing und sichtbar schlotterte. „Er meinte, dass wir hier warten sollen.. Hätten wir es nicht tun sollen?“ Der Attentäter gab ein zittriges, aber tiefes Schnauben von sich und warf dem ohnmächtigen Vermummten einen giftigen Blick zu, nur um sich die Kapuze in den Nacken zu streifen und den Schal zum Hals zu drücken. „D-Das.. Es.. Egal.. W-Wir müssen zurück..“, grummelte er verbissen und zittrig, während er sich zu krümmen begann. Die Kälte tat ihm überhaupt nicht gut, aber es war zum Glück vorbei.
Die Rückreise dauerte an und war zehrend. Der Wald vor dem Raum stellte sich als ein Stück Lichtung sehr in der Nähe des Gottlosen Sumpfes heraus, weswegen man den gesamten Weg zum Unterschlupf zurück überbrücken musste. Unter zehn Stunden im schnelleren Lauf kamen sie nicht. Kassis nahm es sich dabei kein Stück heraus eben nicht zu erwachen, weswegen man den Vermummten auch noch tragen musste. Kaum in den Katakomben kam er zu sich. Wie hätte es auch anders sein können. So hockte er wieder vor dem steinigen Tisch, auf dessen anderer Seite ein stark zitternder Dogrem saß, der die Brauen durchgehend ein Stück weit unten hielt. Zwar hatte er sich getrocknet, heiß abgewaschen und trank seit der Rückkehr nur noch heißen Tee oder Kaffee, aber so richtig warm wollte er wohl nicht werden. Auch die Decke, in die er gehüllt war, half da keineswegs weiter. Der glasige, vor Vorwurf überdrüssige und auch äußerst gereizte Blick fixierte Kassis, der schweigend ein Brötchen aß und soeben am kauen war. Schon seit über einer Stunde saßen sie, wie auch einige andere Kultisten, in dem vermeintlichen Gemeinschaftsraum, in dessen Mitte eine Kohlenpfanne gebracht und entfacht wurde. Es war schön warm geworden. Zwar bat Dogrem nicht darum und er zeigte sich auch keineswegs dankbar für diese fürsorgliche Handlung Kassis'. Dennoch war sich dieser sicher, dass er mit seiner offenherzigen Entscheidung zugunsten eines anderen auch einmal positiv bewiesen hatte. Dies beinahe schon untermauern wollend, biss der Vermummte, der wie immer dafür die Leinen ein Stück zur Seite geschoben hatte, noch einmal beherzt in das beschmierte Brötchen. Dennoch begann er irgendwann mal langsamer zu kauen, da sich der Blick seines Kameraden nicht einmal im Ansatz von ihm weg bewegen wollte. Schließlich hörte sein Kiefer auf zu mahlen. Mehrere Augenblicke verweilte er einfach nur reglos sitzend, während sich auch Dogrem kein Stück bewegte. Als dann ein Kultist an ihnen vorbei wollte, ruckte Kassis' Kopf herum, woraufhin der blonde Jüngling stehen blieb und ihm sonst wie entgegen sah. Es war mal wieder einer seiner eigenen Leute. Eindeutig ein Neuzugang, sonst hätte er wohl nicht so reagiert. „Du da.. Bring mir einen Schnaps.“ Der Blondschopf nickte mehrmals rasch, wandte sich ab und huschte eilend durch den ganzen Raum, nur um dann hinter einer Ecke zu verschwinden. Keine zwei Minuten kam er sogar wieder zurück und reichte mit tief geneigtem Haupt einen Flachmann weiter, den Kassis ihm aus der Hand riss. „Ksh! Weg!“ Der Jüngling japste leise auf und huschte gleich wieder weiter. Mit einem Schnauben hockte sich der Vermummte wieder aufrecht und gerade hin, legte dann das halbe Brötchen mitten auf den Tisch und begann den Flachmann aufzuschrauben. Dogrem beobachtete das gesamte Szenario nur schweigend, ohne aber die Brauen wie üblich herunter zu ziehen, oder verbissene Kommentare von sich zu geben. Er hatte wohl einfach mal die Schnauze voll. Als der Flachmann geöffnet war legte sich sogleich ein starker, scharfer Geruch in die Umluft. Ein Stück lehnte sich Kassis vor und kippte den klaren Inhalt über das Brötchen. Dogrem beobachtete und schwieg, genauso wie auch so einige andere Anwesende des Raumes. Mehrmals wurde das metallene Behältnis ausgeschüttelt, um auch den Rest heraus zu bekommen, bevor der Flachmann einfach neben dem Brötchen auf der überfluteten Fläche landete. Es tropfte nicht wenig über den Rand runter und auch auf Dogrems Schoß, von welchem das Gesöff einfach abperlte. Das Leder hatte wohl so einige Vorteile. Dem Attentäter war das wohl zu jenem Moment irgendwie egal und wenn nicht, dann vertuschte er es erfolgreich. Dann klopfte sich Kassis suchend am Gürtelbund herum, nahm ein kleines Schächtelchen mit Zündhölzern an und entfachte den Kopf eines solchen, bevor er es auf das Brötchen warf. Der gesamte Alkohol - und damit der ganze Steintisch - begann zu brennen. Die Flammen sprangen dem abtropfenden Alkohol hinterher und entzündeten auch die kleinen Pfützen unten auf dem Boden. Langsam sah Dogrem auf das Brötchen runter und beobachtete das Schauspiel, nur um genauso bedächtig zurück zu Kassis zu sehen, der sich just in dem Augenblick aufrichtete und sich grummelnd streckte. „Ich hole mir noch ein Brötchen.“ Damit wandte er sich ab und verschwand in einem der vielen Nebengänge. Schweigend sah der Attentäter noch einige Momente zum leeren Platz auf der anderen Seite des lichterloh brennenden Tisches. Dann, als sich neben ihm eine Bewegung abzeichnete, wandte er den Kopf herum und sah Jacob entgegen, der das Haupt ein Stück neigte. „Meister..“ Ein zögerlicher Blick zum Nebengang, dann zu seinem Vorgesetzten zurück. „Er.. kommt wieder zurück?“ „Leider.“, schnaufte Dogrem kratzig aus. „Was willst du von ihm?“ „Ihm Bescheid geben, Herr.. Die angeordneten Vorbereitungen für Löwenstein sind beendet.“ Steil und langsam hob der Attentäter seine rechte Braue an. „Was? Warum weiß ich davon nichts?“ „Wovon?“, erkundigte Kassis, der zurück kam und sich wieder auf seinen Platz hockte, nur um in das neue Brötchen zu beißen. „Löwenstein.“, zischte der zweite Aufseher übellaunig. „Welche Vorbereitungen für Löwenstein? Was für einen Schwachsinn hast du dir jetzt schon wieder ausgedacht?“ Kassis brummte amüsiert bei dem wenn auch berechtigten Vorwurf. „Du nennst deine Profession Schwachsinn?“, erkundigte sich der Vermummte hörbar amüsiert, woraufhin nun auch Jacob seine Braue hob. „Was?“, murmelte dieser, während Dogrem seine Augen verengte. „Du hast also ein Attentat geplant?“ Kassis kicherte amüsiert auf und grinste mit blutig verschmierten Zähnen zu ihm rüber. „Ja, habe ich.“
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Libes Tagebuch
Der Kreps hatt sich fermehrt! Da sind jezt andere Krepse aber gans kleine un sie sind auch gans weich! Ich habe inen Wasser gehold und ich finde das gans doll das der Kreps nich mer alleine isd den er hatt jezt freunde!
Nina
Ich weiß nicht warum Du, Kassis, dieses Buch vollschreibst und ich weiß auch gar nicht, was ich davon halten soll. Ebenso stellt sich die berechtigte Frage, weswegen ich nun darin schreibe und, ob ich es fortsetze. Die Tatsache allerdings, dass Du es mal wieder geschafft hast uns sowohl in diese unnötig riskante Lage zu bringen, als auch aus der Situation noch etwas gutes zu holen, indem Du in jener Zeit Vorbereitungen hast laufen lassen lässt mich erneut mit der Frage alleine, weswegen ich Dir überhaupt noch zuhöre. Seh' zu, dass Du endlich Deine Pläne in einer Reihenfolge in die Gänge bekommst. Neben mir wirst Du momentan keine andere Person finden, die Dich auf diesen Reisen begleitet.
D.